Gebunden und doch frei Der vollendete Kavalier Graf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf sehnte sich nun doch, nachdem er Paris Valet gesagt hatte, zurück in die geliebte Oberlausitz, nach dem alten Wasserschloß Groß* hennersdorf, in dem seine Großmutter wohnte und auf ihren Enkel wartete. Es lag so viel auf seinem Herzen, was er mit dieser alten, lebenserfahrenen Frau besprechen wollte. Auf der Rückreise berührte er Straßburg. Er schlug also nicht die bevorzugte Route Lyon—Genf ein. Seit 1681 war die Perle des Elsaß in französi* sehen Händen. Daran dachte er nicht, als er die alte, einst freie und mächtige Reichsstadt betrat und das herrliche Münster be= sichtigte, das dem evangelischen Gottesdienst wieder entzogen worden war. Auch die einst glanzvolle Theologische Fakultät, an der der Elsässer Philipp Jakob Spener unter großem Segen stu= diert hatte, interessierte ihn nicht. Er erinnerte sich ganz andrer Zeiten dieser Stadt, als er die eng und winklig gebaute Altstadt mit ihren stattlichen Fachwerk* häusern durchschritt. Hatte hier nicht im Mittelalter ein frommes Bürgergeschlecht gewohnt? Menschen, die in der Gemeinschaft mit Gott Frieden suchten, fanden sich hier im 14. Jahrhundert in stillen, gottinnigen Mystikerzirkeln zusammen. Als „Gottes* freunde" waren sie bekannt geworden, und ihr Einfluß strahlte einst weithin. Zu ihnen gehörten Heinrich von Nördlingen, Rui* man Merswin, Margarete und Christina Ebner und vor allem Johannes Tauler, der berühmte Volksprediger unter den Domini* kanern, mit seinem gotterfüllten Gemüt. Vergessen wir nicht die große mystische Renaissance, die seit 1700 ganz Europa über* schwemmte und Ungezählte aller Konfessionen in ihren Bann zog. So schrieb Zinzendorf von der Stadt am Oberrhein einen Huldigungsbrief an einen Pariser Dominikaner, in dem er „einen zweiten Tauler gefunden" hatte. Wie sah es im Innern des Grafen aus? Kurz vor seinem Auf* brach aus Paris hatte er an Walbaum in Halle einen sonderbaren Brief gerichtet: „Die süße Gegenwart meines Heilandes, so ich in allem meinem Vornehmen von außen spüre, empfinde ich von