Henriette Katharina von Gersdorf UND DER KLEINE LUTZ Sein erstes Lebensjahrzehnt verlebte der junge Nikolaus Lud= wig von Zinzendorf im Hause der „gelehrten Friesin", wie man in jenen Tagen oft seine Großmutter, die Landvögtin Henriette Katharina von Gersdorf geborene von Friesen, bewunderungsvoll nannte. Zu ihr zog die so früh verwitwete Tochter, die Gräfin von Zinzendorf, nachdem sie ohne Hast den eignen Haushalt in Dres« den aufgelöst hatte. Das große Wohnhaus auf der Scheffelstraße 9 wurde verkauft. Am 26. September 1703 ging auch das von der „schönen Susi" an ihren Bruder Georg Ludwig von Zinzen« dorf verkaufte Lustgrundstück mit seinen weiten Anlagen für 10000 Taler in fremde Hände über. Die „schöne Susi" hatte sich einst iooo Taler mehr dafür geben lassen. Doch wurden Brunnern figuren und fremdartige Gewächse im Gartenhaus gesondert ver« kauft. Von einem großen Vermögen konnte man bei drei hinter« lassenen Kindern und einer Witwe hier nicht sprechen. Bei ihrer Mutter hat die junge Gräfin kein Kostgeld bezahlen müssen. Das bedeutete für sie eine große Erleichterung. In diesem Sinn, wenn auch nicht wortwörtlich, ist es zu ver« stehen, wenn Zinzendorf später im Zusammenhang mit einem Dankgedicht davon sprach, daß die Großmutter nach dem Tode des Vaters ihn „von Stund an zu sich nahm und zehn Jahre lang als einen Augapfel bewahrte". Damit kam der kleine Lutz, wie ihn die Großmutter nannte, in das Haus einer großherzigen und genialen Frau aus uraltem Geschlecht, das voll und ganz in der alteuropäischen Adelskultur und Adelstradition verwurzelt war. Es fehlte ihm wohl die ganze heitere Unbefangenheit und quell« frische Natürlichkeit altösterreichischer Adelssippen, wie sie noch in der Emigration so eindrucksvoll aufleuchteten. Der kursäch« sische Adel war schwerlebiger, ernster, gemessener und durch und durch konservativ, vor allem in seinem Lebensstil. Das Ge= schlecht von Friesen aber stand unter den aristokratischen Fami« lien Kursachsens weit voran. Wohl in keinem der andren kur« sächsischen Geschlechter haben sich im 17. Jahrhundert die Be= gabungen so gehäuft wie bei den von Friesen. Es stellte dem