53 Gilbert Lupfer Dresdner Industriearchitektur in der Wilhelminischen Zeit »Den Bauten der Industrie wohnt eine gewisse Ursprünglichkeit und Mächtigkeit von Haus aus inne. Wucht, Strenge und Knappheit entsprechen dem organisierten Arbeitsleben, das sich darin abspielt. ... Deshalb erscheint die Annahme berechtigt, daß die Großbauten der moder nen Industrie ... Vorboten eines kommenden monumentalen Stiles bilden werden.«" Das führte Walter Gropius, Pionier der modernen (Industrie-)Architektur, bei einem Vortrag im Jahr 1911 aus. Gropius hob .die Industrie und ihre Architektur in beinahe religiöse Sphären und erhoffte von ihr die Wegweisung zu einem »neuen Sakralstil«. Damit stand er keineswegs allein, und das offenbart, welch große Bedeutung dem Bauen für die Industrie am Anfang des 20. Jahrhunderts zukam — eine Bedeutung, die sich kaum noch nachvollziehen läßt, da es seit langem nurmehr eine bescheidene Rolle spielt. 21 Heute geht es um Abbruch oder Rückbau von Industrieanlagen, die ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung beraubt sind. Wie mühsam die Suche nach neuen Nutzungsmöglichkeiten ist, läßt sich derzeit beobachten. Die einstige Tabakfabrik »Yenidze« wurde zum Bürohaus um gebaut, doch die Vermietung des nicht optimal gelegenen Objektes bereitet Schwierigkeiten. Nachdem sich Pläne für einen Umzug der SLUB (Sächsische Landes- und Universitätsbiblio thek) in den Packhofspeicher zerschlagen haben, ist er nun - seiner architektonischen Eigenart kaum angemessen - als Kongreßhotel im Gespräch. Der Erlweinsche Gasometer wartet in »ent- beintem« Zustand darauf, ob er als Zweitverwertungsstätte für ein Musical dienen darf, doch an gesichts der Flaute in diesem Gewerbe sind die Aussichten schlecht. Die Hofmühle diente als Spekulationsobjekt und verfiel, bis nun ein neuer Investor gefunden scheint. Diese Liste der Fehlschläge und Hängepartien ließe sich verlängern, doch immerhin gibt es auch Beispiele ge lungener, unter denkmalschützerischen Aspekten akzeptabler Umwandlungen (wobei massive Eingriffe in das »Innenleben« meist unvermeidlich sind). Die ehemaligen Eschebachschen Werke fanden als städtischer Verwaltungssitz zu neuem Leben. In die Heeresbäckerei ist als er ster Mieter das Stadtarchiv eingezogen. Die Umgestaltung des Schlachthofs zum Messegelände ist in dreifacher Hinsicht ein Glücksfall: für den Erhalt dieses einmaligen Ensembles, für die Wiederbelebung eines verödeten innerstädtischen Areals, und für die Profilierung Dresdens als Messestandort; hätte der Umbau nicht unter großem Zeitdruck erfolgen müssen, so würde das Ergebnis noch mehr überzeugen. Erhalt und Revitalisierung historischer Industrie- und Ver sorgungsbauten sind nicht nur eine Angelegenheit des Denkmalschutzes, sondern integraler Bestandteil einer vorausschauenden Stadtplanung. Bauten wie der Packhofspeicher, die Hafen-