57 Matthias Herrmann Bemerkungen zur Musikpflege am Hofe Christians I. Anton Weck, einer der bekanntesten Chronisten Dresdens, teilte über das Trauerzeremo niell für den sächsischen Kurfürsten Christian I. vom Oktober 1591 folgendes mit: »Der Leichnam ist alsobald fürstlich und kostbar bekleidet und mit vielen Cleinodien gezieret (...) in der Schloß-Kirche unter die Cantzel gestellt worden (...) Das Leichen-Begängnis (ist) unter Lautung aller Glocken mit großen Solennitäten gehalten worden und hat man die Churfürstl. Leiche aus der Schloß-Kirche in einem stattlichen Proceße (...) geführet. Es ist aber der Proceß also angestellet gewesen: Erstlich sind 3 Glieder, in iedem 3 von den ältisten Adels-Persohnen gegangen, hernach ist das Creutz getragen, dem die Schüler samt ihren Schulmeistern, 38 Predigern, die Cantorey, auch Heerpauker und Trompeter gefolget.« (Eine detaillierte Aufzählung der anwesenden Adligen schließt sich an.) 1! Nach dem in der Residenzstadt vonstatten gegangenen Zeremoniell wurde Christians Leichnam nach Freiberg überführt. Im dortigen Dom ließen sich seit dem Tode Herzog Heinrichs des Frommen - er starb im Jahre 1541 - die wettinischen Herzöge samt ihren Familien beisetzen. Eine Bilderrolle, die den Freiberger Leichenzug abbildet, weist auch da auf anwesende Musiker wie »Schüler samt Bassisten«, also Knaben- und Männerstim men, sowie Trompeter und Pauker hin. 21 Der Fakt, daß in die Trauerzeremonielle die Dresdner Hofkantorei sowie vermutlich figu- ral singende Schüler der Freiberger Lateinschule einbezogen wurden - ein an katholi schen wie evangelischen Höfen zeitüblicher Vorgang ist für unser Thema von Inter esse. Denn: Falls Christian I. den Calvinismus radikal in Sachsen eingeführt hätte, wäre mehrstimmiges Musizieren am Hofe höchstwahrscheinlich unmöglich geworden. Ein Umstand, der für die traditionsreiche, Luthers Musikauffassung widerspiegelnde, Figural- musikpflege in Sachsen verheerende Folgen gehabt hätte. Etwa so wie in der Kurpfalz, wo Kurfürst Friedrich III. nach 1559 die Hofkantorei aufgelöst und das gottesdienstliche Musizieren auf die Einstimmigkeit reduziert hatte. Die von ihm 1563 initiierte »Kurpfälzi sche Gottesdienstordnung« strahlte auf andere reformierte Gebiete Deutschlands aus. Un ter dem hessischen Landgrafen Moritz, der um die Jahrhundertwende sein Land refor mierte, konnte sich trotz Calvinismus dennoch die Figuralmusik entfalten. 3 ’ Die Bemühungen Christians I. um den Calvinismus sind mit denen in der Kurpfalz nicht vergleichbar. So ist es müßig zu fragen, ob sich der sächsische Kurfürst bei einer längeren Regierungszeit womöglich calvinistischen Dogmen wie der Ausschaltung künstlerisch-bild-