38 Heinz Pietzsch ^ DAS STAATSSCHAUSPIEL DRESDEN IN DEN FÜNFZIGER JAHREN - PROFILIERUNG DURCH WERKE BRECHTS UND SOWJETISCHER DRAMATIKER Werden Dresdner Theaterbesucher meiner Generation heute nach ihren großen Erlebnissen der 50er Jahre befragt, dann geraten sie nicht selten ins Schwärmen. Die Erinnerung an große Premierenerfolge reiht Titel von Brecht- Stücken aneinander, macht Leistungen des Ensembles in sowjetischen Stücken lebendig, nennt die Namen der Protagonisten und künstlerischen Leiter, läßt nicht Gelungenes im Dunkel, und aus nostalgischer Verklärung leiten sich dann Vergleiche ab, die fragwürdig bleiben müssen, weil die Aufgaben stellungen für die Theaterarbeit der 50er Jahre andere gewesen sind als die heutigen. Damals bildeten sich Strukturen eines sozialistischen Natio naltheaters in widerspruchsvollen Prozessen heraus, heute sind wir dieser Epochenaufgabe unter anderen Gegebenheiten und vertiefteren Einsichten über die spezifisch theaterästhetischen Wirkungsmöglichkeiten näher ge kommen . Bertold Brecht schrieb in der Mitte der 50er Jahre: "Das Theater dieser Jahrzehnte soll die Massen unterhalten, belehren und begeistern. Es soll Kunstwerke bieten, welche die Realität so zeigen, daß der Sozialismus auf gebaut werden kann. Es soll also der Wahrheit, der Menschlichkeit und der Schönheit dienen."^ An der Realisierung dieses Zieles haben wir in den 50er Jahren mit sicher gleicher Besessenheit gearbeitet wie unsere Kollegen heute. Nur Waren für uns die Voraussetzungen andere. Was sich von 1949 - 1961 zu einem ersten Höhepunkt in der Geschichte des Staatsschauspiels nach dem Neubeginn des Jahres 1945 entwickelt hatte, bleibt eine kurze Weg strecke auf einem langen Weg. Welche Bedeutung die Stücke sowjetischer Auto ren und das Werk Brechts in diesem Zeitraum gewannen, soll dargestellt wer den. Dabei wird es sich nicht vermeiden lassen, Strukturen des Gesamt— repertoires einzubeziehen, damit die kulturpolitische und künstlerische Leistung umfassend erkannt und eingeschätzt werden kann. Martin Hellberg, der Ende 1949 durch den damaligen Ministerpräsidenten Sachsens Max Seydewitz zum Generalintendanten an die Staatstheater berufen worden war, hatte durchaus recht, wenn er in seiner Antrittsrede die Situation von 1945 - 1949 folgendermaßen charakterisierte: "Sind Künstler Ausdruck ihrer Zeit und ihrer Gesellschaft, so war es kaum verwunderlich, wenn die Kunst und speziell die Bühnenkunst sich fürs erste an die vorhan denen repräsentativen Werke des Erbes hielt und eine Art Ausverkauf veran staltete. Die Bühnenkunst bezog einen 1 überpolitischen' Standpunkt und ge — dachte, in eine neue Gesellschaftsform 'hineinzuwachsen 1 ." Das stimmte in bezug auf die abwartende Haltung manches altverdienten Mitglieds im En—