VOTM F»AV/U HARV^V F 7 O lllustritrt von Max Z s c h o c k. S eit fast zwanzig Jahren bin ich Ge wohnheitsdieb, Einbrecher und Fäl scher. Jetzt aber will ich ein reines Blatt umschlagen; morgen geht es fort nach dem fernen Westen. Ich werde Europa nicht Wiedersehen, verlange auch nicht, dies zu tun. Sollte ich je Heimweh nach der Alten Welt empfinden — es dürfte nicht seinl Meine letzte Tat hat mir einen Feind geschaffen, den kaum Meere und Länder hindern können, mich zu vernichten. Ich komme nicht aus der Gosse, noch habe ich ein anständiges Elternhaus ver lassen, weil ich die Arbeit scheute. Ich bin, im Gegenteil, stets Musterknabe gewesen, in der Schule, in der Lehre. Meine Mutter, die Schwester und ich, wir mußten hart ar beiten, um uns über Wasser zu halten. Und über Wasser hielten wir uns, brachten es sogar zu einem Schimmer von Behaglich keit. Das ist nur zu erreichen, wenn man darauf verzichtet, Reserven an Geld wie an Kraft anzulegen. Krank werden darf man bei solch einem Leben freilich nicht, sonst hat’s geschellt. Mutter wurde krank, als ich siebzehn, die Schwester kaum neunzehn Jahre zählte. Sofort erhielt unsere Wohlanständigkeit einen tiefen Riß. Ein Drittel des Einkom mens fehlte, die Ausgaben wuchsen täglich. Damals, voll Wut und Haß gegen Be- günstigtere, stahl ich zum ersten Male. Die Mutter war schon zu krank, um Unregel mäßiges zu merken, die Schwester schwieg. Und so oft sie in der Folge bat: „Steffen, kannst du bis morgen Geld schaffen? Es wird gebraucht!“ schlug sie die Augen nie der, eine stille Mitwisserin. Die Mutter starb, es war Erlösung für sie, für uns. Ich nahm keine Arbeit mehr an, schlief am Tage und ging des Nachts aus. Unser Haus war „respektabel“, mein geänderter Lebenswandel fiel auf. Bald hatte mich die Polizei beim Wickel. Als junger, unerfahrener Taschendieb ging ich „verschütt“, als angehender „schwerer Junge“ kam ich in unsere kleine Wohnung zurück. Ich fand sie leer. Die Schwester hatte meine Rückkehr nicht abgewartet; sie war ihres Weges gegangen, wie ich dem Abgrund zu. Natürlich konnte ich es in dem respek tablen Hause nicht lange aushalten, die Tugend zeigte dort mit dem Finger auf mich. Bald fand ich geeigneteres Quartier, eine passendere Gesellschaft. Ich war Mit glied einer Bande, bevor ich noch recht wußte, was ich tat. Im übrigen sagte mir die „Arbeit“ gut genug zu. Ich beraubte, bestahl, betrog nur Satte, die ich haßte; nur Menschen, die, im Wohlleben aufgewachsen, keine Ahnung hatten, wir mir zumute war, Leute derselben Art, die mich wie die Schwester in den Schmutz getreten. Ich führte dies Leben an zwanzig Jahre. Re^ch wird man dabei nicht. Man nimmt ein, man gibt aus. Mein siebenunddreißig ster Geburtstag traf mich in einem unsau beren Hotel, in äußerst schlechter Stim mung. Am Vorabend war mir ein Brief eines Onkels zugekommen, eines Vaters- Bruders, der seinerzeit nach Nevada aus- wanderte und seitdem nichts von sich hatte hören lassen. Nun meldete er sich mit einemmal. Und forderte mich auf, zu ihm zu kommen; er sei Farmer, Junggeselle ge blieben und ein reicher Mann geworden. Der Brief deutete an, ich sei gegebenenfalls zum Erben der Farm bestimmt. 343