■■■■■■■■□□BISBIilDBQIHMHn BEIBLATT DER TYPOGRAPHISCHEN MITTEILUNGEN, ZWEITES HEFT, BERLIN, FEBRUAR 1928 SCHRIFTLEITUNG: ERNST PRECZANG, BERLIN SW61, DREIBUNDSTRASSE 9 LESEN UND ESSEN Lefen und Effen, zwei »zunächft« und an der Oberfläche fo ver- und gefchiedene Tätigkeiten, find fie nicht »am Ende«, »im Grunde« dasfelbe, oder höchftens nur zwei Seiten eines letzten und tieffien Dritten? Die deutfche Sprache, fo unmittelbar weife, be- j aht diefe Frage. Sie fpricht wie von körperlicher, fo auch von geiftiger »Nahrung«, von Lefe»hun- ger«; wir kennen »genußreiche« Lektüre, wäh rend manches Buch auch völlig »ungenießbar« ift; esgibt Lefeftoff, der wird förmlich »Verfehlun gen«, andrer kann nur fchwer oder gar nicht »ver daut« werden. Wie fonftige Nahrung, fo »neh men« wir audi den Gehalt eines Buches »in uns auf«; wie der Körper fich erbaut, fich aufbaut durch Zufuhr von Speife, fo »erbauen« wir uns an guter oder beffer durch gute Lektüre. »Der Menfch lebt nicht von Brot allein«, das wiffen wir, und ebenfo, daß von Geiftigen und Geift- lichender»hungernden«Seele vielfach und leider nur »Steine ftatt Brot« gegeben werden. Einzelne Gnd auch das Lefen »fatt«, oder fie find gar »über füttert«. Diefe mancherlei fprachlichen Wendungen, die fich noch vermehren laffen, zeigen deutlich und deutend, wie verwandt, zueinandergewandt beide find: das Lefen, die fozufagen greifbarfte und verbreitetfte Form der geiftigen Nahrungs aufnahme, und das Effen, die verdichtetfte Form der körperlichen Nahrungszufuhr. — In diefem Zufammenhang mag nicht unerwähnt bleiben, daß nach der Überlieferung in älterer Zeit ge legentlich ein Prophet eine ganze Buchrolle nicht nur »förmlich«, fondern buchftäblich zu »ver- fchlingen« gehalten war, fehr maffiv und fehr fymbolhaft. SprichwörtlicheRedensarten dann wiffen davon, daß es auch beim Lefen »Kraut und Rüben« gibt, daß fich auch mancher Lefer dünkt, er habe die Weisheit »mit Löffeln gegeffen«. Ein andres Sprichwort fagt: »Bücher ,freffen‘ und nicht ,käuen‘ macht ungefund.« • VON DR. V. HACK, VOEHL Ferner haben Dichter und Denker gelegentlich diefe Zufammenfchau gezeigt. D.F. Strauß reimt boshaft und gewiß zum Teil auch fchief: Das lefende Publikum Das Publikum ift eine Kuh, Die graft und graft nur immerzu; Kommt eine Blum’ ihr vor die Naf, Die nimmt fie mit und fragt nicht: was? Ift ihr wie andres Futter auch, Befchäftigt das Maul und füllt den Bauch. Und ein unbekannter Dichter hat von einem be kannten Buch gefchrieben: Dies Buch, das muß der Menfch nicht lefen, fondern effen. Wer lieft, der wird zu leicht, was er gehört, vergeffen. (Übrigens und beiläufig: was für ein merk-wür- diger, alfo des Merkens würdiger Unterfchied oder auch Zufammenhang und -klang, fprach- lich und fachlich, im Wort und im Ort, hoch über aller bloßen Wortfpielerei, zwifchen »ge-geffen« und »ver-geffen«!) Von den Denkern hat fich am deutlichften wohl Artur Schopenhauer an den verfchiedenften Stellen feiner Werke zum Kapitel »Lefen und Effen« geäußert. Einzelnes fei hier aufgeführt; es ift wefentlicher und bleibender Art: »Wie man durch zu viele Nahrung den Magen verdirbt und dadurch dem ganzen Leibe fchadet, fo kann man auch durch zu viele Geiftesnahrung den Geift überfüllen und erfticken. Denn je mehr man lieft, defto weniger Spuren läßt das Gelefene im Geifte zurück: er wird wie eine Tafel, auf der vieles übereinander gefchrieben ift. Daher kommt es nicht zur Rumination (,Wiederkäuen 1 , Durdi- denken); aber durdi diefe allein eignet man Geh das Gelefene an. Lieft man immerfort, ohne fpäterhin weiter daran zu denken, fo faßt es nicht Wurzel und geht meiftens verloren. Überhaupt aber geht es mit der geiftigen Nahrung nicht anders als mit der leiblichen: kaum der fünf- zigfte Teil von dem, was man zu fidi nimmt, wird affimiliert (,einverleibt*); das übrige geht durch Evaporation (Verdunftung), Refpiration (Atmung) oder fonft ab.«