77 Ingelore Menzhausen Die Porzellankünstler im Küchenturm Vor drei Jahrzehnten, an einem schönen Sommermorgen, zogen drei Künstler der Meißener Porzellanmanufaktur nach Moritzburg. Sie hatten Skizzenbücher unter dem Arm, ein Klümp chen Porzellanerde in der Tasche. Sie waren auf Ideen-Suche, denn die Manufaktur erwartete von ihnen dringend Entwürfe zu neuen Servicen. Da saßen sie nun am Rande der Teiche, im Schatten des gewaltigen Schlosses und blickten über die Wasserfläche hinüber zu den Wäldern. Sie zeichneten, sagten wohl ein paar Worte zueinander, als ein plötzlicher Regen losbrach. Die drei liefen in die Eingangshalle des Schlos ses und stießen auf Helmuth Fränzel, damals verantwortlich für Schloß Moritzburg. Einer von ihnen, noch ganz durchdrungen von der Wirkung der Landschaft und sich wünschend, solchen Augenblicken Dauer zu verleihen, fragte, ob es nicht im großen Schloß Raum für Ateliers gäbe, in denen sie arbeiten könnten. Helmuth Fränzel, den Künsten zugetan, führte sie nach kurzem Besinnen in den rückwärtigen Küchenturm, die steinernen Stufen hinauf in sein oberstes Geschoß. Hier gab es zwei Räume, die sie vielleicht haben könnten. Die Geneh migungen wurden erteilt, und die kleine Künstlergruppe - damals drei, später fünf Künstler - hatte nun Ateliers in Schloß Moritzburg. Hier wurden in den folgenden Jahrzehnten die Ideen geboren für die großen Meissener Ser vice: 1001 Nacht, Sommernachtstraum oder das Jagdservice - um nur die größten und be rühmtesten zu nennen. Es sind keine Familienservice. Es sind eindrucksvolle Schöpfungen, gedacht für festliche Tafeln zu ungewöhnlichen Anlässen. Professor Werner, befragt, woher sie den Atem nahmen für so Ungewöhnliches, antwortete lächelnd: wir haben an einen König gedacht. Am Anfang eines Services steht die Form der Gefäße, die seinen Charakter bestimmt. Der Formgestalter der Künstlergruppe war Ludwig Zepner. Bei den Ideen für neue Formen, so sagt er, habe er sich auf das reine Naturstudium konzentriert. Deshalb seien sie als Gruppe täglich in die Natur gegangen und hätten gezeichnet, einfach nur gezeichnet, um künstlerisch zu assimilieren, was die Natur in so reicher Fülle bietet. Aus der Summe Hunderter Zeich nungen verdichtete sich die künstlerische Idee, die zu seinen neuen Formen vom »Großen Ausschnitt« führte. So wurde die Teekanne schließlich zur schwimmenden Ente oder zum majestätischen Schwan auf dem Teich oder umgekehrt, die fünfblättrigen Teller und Unter tassen assoziieren ebenso wie die Teetassen eine Wasserrose. Der Formgestalter schrieb, daß er sich bewußt nicht auf den Lorbeeren vergangener Jahrhunderte habe ausruhen wollen.