DER SCHLUMMERNDE GENIUS Wenn die Musiker um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts angesichts von Beispielen, wie sie Mozart mit der Entführung und dem Figaro, Don Giovanni und der Zauberflöte gab, noch den Mut zum Weiterkomponieren fanden, so hatte das Gründe, die in der damaligen Weltstimmung lagen. Die Ahnung eines neuen Zeitalters der Menschheit verdichtete sich selbst in den nüchter neren Köpfen zur Vorstellung einer sozialen Gerechtigkeit, die das künstlerische Individuum künftig als Maß aller Dinge ansehen sollte. Nur Männer, die sich durch solch unerweisbare Hoffnun gen nicht den Sinn für die Wirklichkeit der Kulturzusammen hänge trüben ließen, erkannten den Abschluß einer Entwicklung. So erklärte sich Haydn außerstande, als Opernkomponist neben dem „großen Mozart“ bestehen zu können. Der Sieg der Mozart- schen Oper war nach 1800 unbestritten. Ihrer Wirkung hat sich auch der junge Weber nicht entzogen, ja es gibt genügend Zeug nisse dafür, daß ihm Mozart die Verkörperung des musikalischen Weltgewissens schlechthin bedeutete. Im Zeichen Mozarts steht daher auch Webers Entwicklung zum Opernkomponisten. Es ist derjenige Teil seiner künstlerischen Naturentfaltung, der für den Betrachter der Schicksale des Freischütz das Hauptinteresse be sitzt. Webers Werke bis zum Freischütz sind nicht als Teile eines organischen Reifeprozesses zu verstehen, sondern als Talent äußerungen von scheinbarer Zufälligkeit. Die Folgerichtigkeit einer wohlbedachten Führung ist in Webers früherem Schaffen, das den ganzen bunten Horizont der damaligen Musikpraxis ab- streift, nicht auf den ersten Blich zu erkennen. Klavierstücke, kleine Kammermusiken, Lieder, kirchliche Gesangssätze keimen scheinbar wahllos nebeneinander auf. Das gilt nicht nur für die musikalischen Lebensregungen des Kindes, sondern ebenso noch