Die beiden Arten von Da-Capo-Arie in der Matthäus-Passion Von Karol Berger (Stanford, CA) Die vorliegende Studie hat zum Ziel, anhand der entsprechenden Nummern aus der Matthäus-Passion die gattungsbedingten Konventionen zu rekon struieren. die Bachs Denken über die Form der Da-Capo-Arie leiteten. 1 Abgesehen von den Rezitativen vertonte der Komponist nahezu die gesamte Dichtung Picanders (also die Grundlage für einen Großteil der musikalischen Substanz der Passion) in Da-Capo-Form. Die Sätze 27, 30 und 60 sind die einzigen Ausnahmen. 2 Die übrigen vierzehn Nummern (Nr. 1.6,8. 13. 20. 23, 35. 39. 42. 49. 52. 57. 65 und 68: siehe Tabelle 1) sind sämtlich in Da-Capo- Form vertont, unabhängig davon, ob Picander dies explizit vermerkte. 3 (Nur drei der Sätze - die Nummern 8, 39 und 42 - sind nicht mit entsprechenden Bezeichnungen versehen, obwohl bei den beiden letzteren die Eröffnungs- verse am Schluß noch einmal abgedruckt werden, das heißt, das Da Capo ist hier ausgeschrieben.) Alle diese Dichtungen, die vierzehn in Da-Capo-Form vertonten und die drei Sonderfälle, sind in Picanders Libretto als „Aria" bezeichnet, und auch in Bachs Autograph wird dieser Begriff fast immer verwendet. 4 Nur die beiden Ecksätze weichen von dieser Regel ab, Nr. 1 ist unbezeichnet und Nr. 68 trägt den Titel „il Choro finale“. Diese beiden 1 Die hier vorgestellte Typologie der Da-Capo-Arien in der Matthäus-Passion unter scheidet sich von der bei E. Platen. Die Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach. Entstehung. Werkbeschreibung. Rezeption. Kassel und München 1991. S. 90 bis 99. Grundlegende Untersuchungen zu Bachs Arienformen hat S. A. Crist vor gelegt: Aria Forms in the Vocal Works of J. S. Bach. 1714-1724. maschr. Diss.. Brandeis University 1988; Aria forms in the cantatas from Bach’s first Leipzig Jahrgang, in: Bach Studies, hrsg. von D. O. Franklin. Cambridge 1989. S. 36-53; Bach, Theology, and Harmony: A New Look at the Arias, in: Bach. The Quarterly Journal of the Riemenschneider Bach Institute 27 (1996), S. 1-30; J. S. Bach and the Conventions of the Da Capo Aria, or How Original was Bach? in: The Maynooth International Nlusicological Conference 1995: Selected Proceedings. Part One. hrsg. von P. F. Devine und H. White. Dublin 1996. S. 71-85. : Die Numerierung der einzelnen Sätze folgt NBA 11/5 (A. Dürr. 1972). Die Dichtung findet sich im zweiten Band von Picanders Ernst-Schertzhajfte und Satyrische Gedichte. Leipzig 1729. S. 101-112; siehe das Faksimile in NBA II/5 Krit. Bericht (A. Dürr. 1974). S. 73-78. 4 SBB. P 25: ein vollständiges Faksimile erschien als Bd. 7 der Faksimile-Reihe Bach scher Werke und Schriftstücke, hrsg. vom Bach-Archiv Leipzig. Leipzig 1966.