Zur Datierung einiger Vokalwerke Bachs in den Jahren 1707 und 1708 Von Markus Rathey (New Haven. CT) Das knappe Jahr zwischen Juli 1707 und Juni 1708, das Johann Sebastian Bach als Organist an der Divi Blasii Kirche im thüringischen Mühlhausen ver brachte. ist noch mit vielen Fragezeichen versehen. Obgleich die Zeitspanne kurz war. war doch die Bestallung als Organist in der traditionsreichen Reichs stadt eine wichtige Station für den gerade einmal zweiundzwanzigjährigen Organisten. Die Fragezeichen betreffen vor allem die Zahl und den Umfang der Werke, die Bach während seiner Beschäftigung komponiert oder zumin dest aufgeführt hat. Von den auf diese Zeit datierten Kantaten ist letzt lich nur eine einzige, die Ratswahlkantate „Gott ist mein König" BWV 71. sicher zu datieren, da sie für die Einführung des neuen Rats im Jahre 1708 komponiert und sogleich gedruckt wurde. Eine zweite Kantate, „Aus der Tiefen" BWV 131, ist aufgrund einer Eintragung Bachs in der autographen Partitur ebenfalls auf die Mühlhausener Zeit zu datieren, jedoch fehlt ein ge naues Datum. Bachs Eintrag gibt nur den Auftraggeber an, nicht aber den Anlaß: „Auff begehren Tit: Flerm D: Georg: Christ: Eilmars in die Music ge bracht von Joh: Seb: Bach Org: Molhusinö". 1 In der Forschung haben sich mehrere Datierungsmodelle etabliert, auf die später noch zurückzukommen sein wird. Keines jedoch konnte zu einer zweifelsfreien Bestimmung des Aufführungsanlasses beitragen. Alle übrigen der sicher oder auch nur mut maßlich in Mühlhausen entstandenen Kompositionen lassen sich nur auf grund stilistischer Kriterien in den Jahren 1707/08 ansiedeln. Dies gilt sogar für so zentrale Werke wie den Actus tragicus BWV 106, der seit dem frühen 19. Jahrhundert den Kanon des Bachschen (Eueres maßgeblich geprägt hat. Ähnlich problematisch ist übrigens auch die Datierung der Orgelwerke, auf die hier jedoch nicht eingegangen werden kann. 2 In den letzten Jahren konnten zumindest einige der Rahmenbedingungen von Bachs Schaffen in der thüringischen Reichsstadt geklärt werden. Forschungen 1 Faksimilewiedergaben finden sich zum Beispiel in NBA L/34 (R. Higuchi, 1986), S. VII. und G. Herz. Bach-Quellen in Amerika. Kassel 1984. S. 317. : Vgl. dazu C. Wolff. Johann Sebastian Bach. Frankfurt/Main 2000. S. 104. sowie J.-C. Zehnder. Zu Bachs Stilentwicklung in der Miihlhäuser und Weimarer Zeit, in: Das Frühwerk Johann Sebastian Bachs. Kolloquium veranstaltet vom Institut für Musikwissenschaft der Universität Rostock 11.-13. September 1990, hrsg. von K. Heller und H.-J. Schulze, Köln 1995, S. 311-338.