88 Detlef Gojowy Schon im Juni 1798 hatte Nägeli (vgl. oben) im Briefwechsel mit Breitkopf die Hoffnung geäußert, Bachsche Werke von einem Herrn Müller zu erhal ten. Refardt (a.a.O., S. 389) vermutet, daß es sich damals schon um August Eberhard Müller handelte, einen Schüler des „Bückeburger Bach“, der 1794 als Organist an die Leipziger Nikolaikirche berufen, 1800 dem gealter ten Thomaskantor J. A. Hiller substituiert wurde und ihm nach dessen Tode am 16. Juni 1804 im Amt nachfolgte, das er bis zu seinem Weggang nach Weimar 1810 versah. 45 In dieser Amtszeit hatte er Zugang zu den Bach-Materialien der Thomasschule, mit denen er gelegentlich sehr groß zügig umging: so verschenkte er beispielsweise eine autographe Continuo- stimme der Kantate Christ unser Herr %um Jordan kam (BWV 7) an den durch reisenden Sigismund Neukomm 46 . Nägeli kannte spätestens 1794 Müller als Komponisten, wie ein Brief an Breitkopf belegt; 47 vielleicht, weil Müller bei Breitkopf verlegt wurde, hatte Rochlitz seinethalben Zurückhaltung empfohlen. Nägeli schreibt am 26. Januar 1805 an August Eberhard Müller: [28] (Hermann Nägelis Briefkopierbuch, ZZ Ms Car XV 200, Bl. 43L) Bey dem Studium der Joh. Seb. Bach’schen Instrumental-Werke ist mir auch das Be dürfnis entstanden, deßen Vokal-Werke, und vorzüglich deßen Kirchen-Kantaten zu besitzen. Niemand kann mir dabei beßer an die Hand gehen als Sie, und ich will Sie hiermit inständig darum gebeten haben. Ich habe seit einiger Zeit von dem Bureau de Musique einige bezogen; vielleicht konvenirt es Ihnen, mir unter den gleichen Bedin gungen auch Ihre Mittheilungen zu machen, oder ich denke Sie tragen dieses Geschäft Ihrem Herrn Bruder über so wie Sie den Debit des „Repertoire“ Ihrem Herrn Bruder übertragen haben. Das Bureau de Musique tauscht mir den Bogen von 4 Seiten, den er zu 1 livre de France in Tauschrechnung setzt, gegen Musikalien nach den Ladenpreisen. So stehen Ihnen oder Ihrem Herrn Bruder nebst meinen eigenen Musikalien auch die französi schen von Cherubini, Mehul u. Comp, und Erard’s zu Diensten. Sie können das equiva- lent — das ich Ihnen immer franco Leipzig liefern werde — entweder sogleich beziehen, oder eine Partie Musikalien vorentnehmen oder auch mit Zeit und Weile, wie Sie diesel ben durch die Fortsetzung der Novitäten — zu gebrauchen wißen, nachbestellen. Ich muß Ihnen dabey noch die Versicherung geben, daß ich diese Bachschen Werke lediglich für mein Künstler-Individuum verlange. Freylich denke ich mir den Fall, daß ich in künftigen Tagen das eine und das andere würde drucken können, aber sehr umgearbeitet. Indeßen würde ich Sie dann gern für solche Werke, in deren Besitz ich ohne Sie nicht hätte kommen können, besonders bedenken. Ich wünsche übrigens die Mittheilung dieser Werke auch in Leipzig verschwiegen zu halten. Ich hoffe, Sie werden mir — besonders auf die gütige Verwendung unseres gemeinschaft lichen Freundes Rochlitz meine Bitte gewähren, und werde Ihnen dafür Zeit-lebens 45 Nach NTL. 46 Laut dessen Eintragung auf der Stimme im Besitz McCullough, North Bermington, Vermont, USA, Fotokopie im Besitz des Bach-Instituts, Göttingen. 47 Refardt, a.a.O., S. 388.