Bernhard Stockmann 52 Der fünfte Satz der Motette „Jesu meine Freude“ beginnt mit der Zwischen dominante zur vierten Stufe, dem Quintsextakkord Gis-H-E-H-D. Hätte Bach auf das d" im ersten Sopran verzichtet, so könnte eingewendet werden, dieses E-Dur sei als Variante der Haupttonart aufzufassen, d. h. die Alteration der Mollterz störe den kadenziellen Ablauf nicht. Bach setzt hier jedoch die dissonierende Form der Zwischendominante, weil er die Subdominante als eingeschobene Tonika verständlich machen möchte, d. h. die Kadenz T-S-D-T wird unterteilt in die Funktionen (D)-(T)-D-T, wobei es zunächst offenbleibt, welcher Tonika ein Vorrecht zukommt, d. h. in welcher Tonart der Satz steht. Der Choral „Wie wunderbarlich ist doch diese Strafe“ aus der Matthäuspassion wirft ein ähnliches Problem auf. Es erscheint zunächst der Quintsextakkord auf Dis als Zwischendominante zur vierten Stufe. Bach zielt darauf, den Hörer über die Tonart des Satzes zu täuschen, da die Tonika erst am Ende des zweiten Taktes zu Tage tritt. Analyse der ersten Choralzeile: (D) H-Dur, S e-Moll, (D) verminderter Septakkord auf Eis, D Eft-Dur, T //-Moll, D Eft-Dur, T //-Moll, D Eft-Dur. Zum anderen möchte er den Viervierteltakt verschleiern, indem er den Auftakt nicht leicht anhebt, sondern dissonierend in den Volltakt hinein fallen läßt. Das späte 17. Jahrhundert hatte unbesehen die älteren, ursprüng lich metrisch aufgezeichneten Cantus firmi in das moderne Taktschema hin übergeführt. Bach überschreitet hier die Grenzen seiner Zeit, indem er sogar die typisierten Taktqualitäten angreift. Gerade auf den Spannungen, die der Komponist zwischen harmonischem Detail und präexistenter Melodie ausgetragen hat, beruht der unvergängliche Glanz, der von diesen Schöpfungen ausstrahlt. Das Ziel, die Dissonanz in ihrem dominantischen Wert zu exponieren, erreicht Bach auch dadurch, daß er den dissonierenden Akkord wiederholt. Diese Technik hat wahrscheinlich ihren Ursprung in der Generalbaß praxis des 17. Jahrhunderts, und sie reicht über die Klassik bis weit hinein in das 19. Es sei hier nur an Wagners Klavierlied „Träume“ erinnert. Als Beispiel für Bach sei zunächst die Motette „Fürchte dich nicht“ (BWV 228) besprochen. Auf die Worte „Ich stärke dich“ (Takt 29 fr.) erscheinen drei mal im acht- (bzw. sechs-) stimmigen Doppelchor die Dominantseptakkorde zuy?.r-Moll, //-Moll, E-Dur; wobei die Tonarten, auf die sich die Dominan ten beziehen, nicht eindeutig im Akkord bestimmt sind, sondern in der einstimmigen Linie mehr umspielt werden. Analyse der Takte 29-35: E-Dur-Dreiklang, Erhöhung des Grundtones zu Eis, hierdurch wird der Dominantseptakkord (1. Umkehrung) zu Jw-Moll möglich, /If-Moll in der einstimmigen Linie, (D) Cfr-Dur-Dreiklang (Sextakkord), Dominantsept akkord auf Fis, /»-Moll in der einstimmigen Linie, (D) Fis- Dur-Drei klang, Dominantseptakkord auf H (1. Umkehrung), E-Dur in der einstimmigen Linie, 4 stimmiger Septakkord auf Dis (1. Umkehrung) = Dominante zu E-Dur wird Subdominante zu «r-Moll, Dominantseptakkord auf Gis (1. Umkehrung). Die fixierte Tonika cfr-Moll erscheint vierstimmig, nicht im Doppelchor, in Takt 35. Hier ist ein Beispiel für eine dominantische