„Hast du eine ungefähre Vorstellung, wie lange das dauern wird?“, fragt sie weiter. „Ein Jahr oder zwei oder auch drei. — Wenn man eine große Aufgabe anpackt, weiß man niemals vorher, wann man sie gemeistert hat.“ — Wernicke bekundet seine Zustimmung zu den Worten des Freundes. „Aber du wirst es erreichen, Bruder.“ Die Schwester gibt ihm die Hand mit einer natürlichen, selbstverständ lichen Geste, ohne Ziererei. „Darauf kannst du dich verlassen, Emma. Noch müssen wir vorsichtig sein. Man kann an kranken Men schen nicht herumexperimentieren. Doch nach ein, zwei Jahren, wenn zahllose Tierversuche auf jede kleinste Nebenfrage erschöpfend Antwort gegeben haben, wenn hundert, wenn erst zweihundert oder noch mehr kranke Kinder nach vorsichtiger Behandlung durch mein Serum geheilt worden sind, dann darf ich sagen und dann werde ich sagen: die Diphtherie ist besiegt, ist ein überwundener Feind. Und die Stunde kommt bestimmt!“ — Emil Beh ring schließt mit felsenfester Gewißheit in der Stimme die Erörterung. Die letzte Silbe schwingt eine Sekunde im Raume nach. Dann sieht das Mädel die beiden Freunde blanken Auges an. „Gut, Jungens“, fällt sie in den Ton aus Kindertagen zurück, „ich hole jetzt den Glühwein. In wenigen Minuten läuten die Glocken das neue 1892 ein. Auf eure Zuver sicht wollen wir in seiner allerersten Stunde gläubig an- stoßen!“ II. „Wiesbaden, den 9. IV. 92. „Lieber guter Wernicke, soeben habe ich Deinen Brief bekommen. Nun lass’ aber endlich solche Schlußbemerkungen sein ,wenn ich Dir nicht mehr leiste 1 u.Ä. Du kannst ganz sicher glauben, daß ich auch nicht ganz undankbar und unempfindlich für Freundestreue bin. „Du weißt, ich versuche, mir und anderen so wenig wie möglich etwas vorzumachen; aber gelegentlich darf 16