57 Klaus Hammer Expressionistisches Theater in Prag und Dresden Emst Deutsch kam aus dem Prag Rilkes, Max Brods, Meyrinks und Kafkas. Berthold Viertel holte ihn schon früh an die Wiener Volksbühne, Wiens damaliges Avantgarde-Theater. Bei seinem darauffolgenden Engagement an das von Adolf Edgar Licho in ähnlichem Sinne geführte Dresdner Albert-Theater kreierte Deutsch am 8. Oktober 1916 in einer geschlossenen Vorstellung die Titel rolle in Hasenclevers antirealistischem Drama »Der Sohn«, diesen »Signalstoß einer heraufdrän genden Generation: Ernst Deutsch schritt in Trance durch die Akte, Abbild des Ekstatikers, tiefäugig, glühend, gegängelt von höherem Willen.« 1 ' Seine Uraufführung hatte das 1913/14 ent standene Stück aber bereits am 30. September am Prager Landestheater erlebt. Erst allmählich hatte sich dort das alte Stammhaus auf dem Obstmarkt zu einer Art Volksbühne verwandelt, die das österreichische Volksstück und das deutsche Zeitstück (G. Hauptmann, Sudermann, Fulda u.a.) bevorzugte. Richard Strauß und Wedekind wiesen den Weg zur expressiv nervösen Kunst. Heinrich Eeweles wagte 1912 den ersten Schnitzler- und Gerhardt- Hauptmann-Zyklus. Vor seinem Rücktritt 1918 hatte Teweles noch die Kammerspiele nach dem Vorbild Reinhardts im alten Prager Ständetheater ins Leben gerufen, die mit der Urauf führung von Hasenclevers »Der Sohn« in der Regie von Hans Demetz eröffnet wurde. So hielt der Expressionismus in Prag seinen Einzug. Einerseits bezog man sich auf die gesellschaftliche Realität, indem man das Theater wieder als »moralische Anstalt«, Tribüne und politische Kanzel betrachtete; andererseits bewegte man sich durch zunehmende Abstraktion und unliterarische Spielformen von ihr weg. Dramatischer Text, Bühnenpräsentation, Autor, Schauspieler, Regis seur und Zuschauer sollten zu einer Einheit der »Beseelten« verschmelzen, die in einer Art voluntaristischen Akt sich zu nicht entfremdeten Individuen, zu »Menschen« wandeln. Die Sprache, das Wort avancierte zum entscheidenden Medium des Theaters. Die Kammerspiele brachten in der Folge Strindbergs »Totentanz« und »Rausch«, Max Brods »Die Höhe des Gefühls« und am 8. September 1918 die Erstaufführung von Wedekinds »Frühlings Erwachen«. Aber auch außerhalb der Kammerspiele umfaßte das Repertoire der Kriegsjahre Strindbergs »Ostern«, »Der Vater« und »Kameraden«, Sternheims »Der Snob« und »Die Hose«, Werfels »Troerinnen«. Das Albert- Theater, an das Licho Deutsch geholt hatte, war ein Haus der jungen Talente und stand in betontem Kontrast zu dem vom Grafen Seebach geführten konventionelleren Hof theater. Gerade von Dresden gingen die neuen Richtungen aus, in der Malerei durch den Kreis der Brücke, in den Massenaufführungen durch die Bildungsanstalt von Jacques-Dalcroze in Hellerau, im Ausdruckstanz von Mary Wigman und im Theater durch Licho, der zu Reinhardts