DAS JAGDSCHLOSS MORITZBURG ie Straße von Dresden nach Moritzburg ist mit Bäumen umsäumt wie andere Landstraßen auch. Aber man spürt, sie ist keine gewöhnliche Straße. Dichter stehen die Bäume, es sind Kastanien und Linden, ausladender als sonst wöl ben sich ihre Kronen über die Fahrbahn, und von Ortschaft zu Ortschaft bleiben die Baumreihen gleichmäßig gegittert. Schon drei Kilometer vorm Ziel nimmt die Straße Haltung an; schnurgerade verläuft sie jetzt durch die Landschaft. Wenn man nicht ohnedies wüßte, daß man sich auf der alten Allee bewegt, hat man das sichere Gefühl, nirgendwo anders ankommen zu können als bei einem Schloß. In dieses Vorgefühl ist man nicht durch seine Einbildungskraft versetzt. Die alten Baumeister des Barockschlosses in Moritzburg, die auch diese Straße bauten, hatten es bewußt darauf angelegt. Denn stärker als jemals zuvor in der Architekturgeschichte Dresdens waren sie einem umfassenden städte baulichen Willen unterworfen, der sich nicht nur im Stadtbild auswirkte, wo neue Straßenzüge ent standen, wo die Quartiere um den Altmarkt, den Neumarkt und das Schloß bereichert und die vom Fluß getrennten Stadtteile kompositionell verbunden wurden. Er griff auch über das bebaute Gebiet hinaus und brachte die Umgebung in Beziehung zur Stadt. Dresden sei sehr schön, sagt man allgemein und meint zunächst die Stadt selbst: die schwingenden Elbeufer der Altstadt, die Brücken, die weltberühmten Bauwerke mit ragenden Türmen und das grüne Pigment ihrer kupfernen Haut. Gleichzeitig aber meint man die schöne Umgebung und die herrlichen Bauwerke, die sich über das grüne Land vor den Toren der Stadt verteilen wie die Glieder eines wunderbar reichen Gürtels — Schlösser und Gärten. Wie entlegen sie von der Stadt auch sind, sie bleiben ihr zugehörig, und auch das meint man mit der Schönheit Dresdens. Etwa zwölf Kilometer liegt Schloß Moritzburg in nörd licher Richtung von Dresden entfernt, und doch steht es, über zwölf Kilometer hinweg, mit dem Ge sicht zur Stadt. Und in einer Linie führt die Straße von ihr zu ihm hin. Diese reflektierende Schön heit ist ein bewunderungswürdiger Sieg, den die Baumeister der Landschaft abgerungen haben. Nach allen Himmelsrichtungen ist der Charakter der Umgebung verschieden, und auch die Jahres zeiten — vermutlich haben das die Lyriker entdeckt — scheinen ihre Lieblingsplätze zu haben. Nörd lich dehnen sich die Forsten der Heide und des Friedewaldes aus, das ist das Revier des Herbstes; der Frühling spielt sich am zartesten im Osten auf den Pillnitzer Fluren ab ; der Sommer bringt die Weinberge der Lößnitz in syenitrote Glut; und im Süden reicht ein Ausläufer des Erzgebirges, wo der Winter zu Hause ist, bis an den Stadtrand heran. Diese abwechslungsreiche Natur zusammen mit ihrem architektonischen Schmuck machen die Umgebung so anziehend, daß unzählige Scharen