Fotografen, Menschen und Modelle Beim Porträtieren sieht man den Menschen tiefer in die Seele. Was an ihnen ist oder nicht ist, tritt unvermittelt in Erscheinung. Man muß sich hüten, etwa mitabzubilden, was da zutage tritt. Unbewußt kämpft das „Modell" mit dem — entgegen seinem Willen — Hervor- quellenden. Das verschlimmert noch den Zustand. Die gekünstelte, verkrampfte, gehemmte Pose ist schließlich das Ergebnis. Ach, alle Menschen wollen ja anders aussehen! Jeder ahmt ein sich selbst ge schaffenes Idealbild nach. Zu welchen untauglichen und unfreien Gesten erstarren dabei die Züge im Bemühen, „Es" — das Unerreich bare — zu erreichen. Neros letzte Worte vor seinem Tode waren: „Vanitas vanitatis — omnia vana sunt!" (Eitelkeit über Eitelkeiten — alles ist eitel!). Zu dieser späten Überzeugung gelangte er als Kaiser. Wäre er Porträt fotograf gewesen, so wäre er bedeutend früher dahintergekommen. Ich will damit sagen, daß das Atelier eines Porträtisten gewisser maßen eine Brutstätte der menschlichen Eitelkeiten ist. Man braucht gar kein besonderer Beobachter zu sein, diese Erkenntnis drängt sich von selbst auf. Wenn es nach mir ginge, würde ich zum Hochschul studium für Psychologie nur Studenten zulassen, die auf eine voraus gegangene Praxis in einem Porträtatelier hinweisen können. Sie bringen die notwendigen Grundlagen für das Erkennen der Men schen mit. Einst hatte ich einen Mann fotografiert, der lange Zeit im Brenn punkt des öffentlichen Geschehens stand. Im Zusammenhang mit diesen Aufnahmen bekam ich die Besuche kluger Zeitungsleute. Sie stellten an mich lediglich die eine Frage: „Was haben Sie für einen Eindruck von ihm bekommen? Beim Aufnehmen schälen sich doch die Menschen aus ihrer undurchsichtigen Schale!" Jener Mann im „Blickpunkt" (Hitler war es nicht, falls Sie an ihn jetzt gedacht haben sollten) hatte damals auch seine „bedeutende" Schale abgestreift, und ich konnte sehen, wie ihr ein recht einfaches Etwas mit allen menschlichen Schwächen entschlüpfte. Wie schwer machen es sich andere Leute, wenn sie darauf aus sind, den Menschen hinter ihre Kulissen zu gucken! Sie analysieren die Handschrift/ sie Psydiologie beim Porträtieren