ALBERT BASSERMANN ERZÄHLT Dreißig Jahre Berliner Theater Einer der stärksten Könner, die heute auf der deutsdicn Bühne stehen, blicht hier auf seine Laufbahn zurück und gibt gleidizeitig ein Stiich fesselndster Theatergesdudite: von den Jhieimngern über Brahm und Remhar dt zu Jeßncr. D ie Neigung, die mich als Neun zehnjährigen von der Chemie zur Schauspielerei trieb, lag in meiner Familie: Ich hatte das Beispiel meines Onkels, des bekannten Heldendar stellers und späteren Intendanten, und meines Bruders vor mir. Die Karlsruher Studentenzeit war eine Zeit fleißigen Theaterbesuchs und intensiven Theater erlebens gewesen. (Ein alter Charakter komiker, Budolf Lange, wirkte damals durch Natürlichkeit auf mich am stärk sten.) Dann kam ein Mitterwurzer-Gast- spiel. Ich habe den größten Schauspieler meiner Lebenszeit als Hamlet und als Bolz gesehen. Dieser Bolz war kein Bonvivant, sondern ein Mensch. Durch Mitterwurzer bin ich mir eigentlich erst klar darüber geworden, was ich selbst als Schauspieler wollte: Aus Bollen Menschen machen, die großen Gestalten des klassischen Dramas in ihrer Naturwüchsigkeit auferstehen lassen. Es lohnt nicht, viel von meinen Anfängerjahren zu erzählen. Wer eine große Beise von einer kleinen Station aus antritt, muß zuerst mit dem Bummelzug fahren, um Anschluß an den Eilzug zu bekommen. Da gibt es viele Aufenthalte. Als Beisestationen gelten sie nichts. Bloß die großen Stationen zählen, in denen später der Eilzug hält. Nur so viel kann ich über meine Entwicklung sagen: Ich habe keine Lehr- und Wanderjahre wie andere durchmachen müssen, um mich selbst zu finden; ich hatte mich schon, als ich zum erstenmal die Bühne betrat. Nur um mich durchzusetzen brauchte ich Zeit und — natürlich — um meiner Mittel sicher zu werden. Ich habe niemandem nachgespielt. Ich habe auch keine Fächer gespielt: Für mich gab es weder ein Lieb haber- oder Helden- oder Charakterfach, noch ein junges oder ein altes Fach. Im zweiten Jahre meiner Theaterlaufbahn spielte ich den achtzehnjährigen Hanns in der „Jugend“ und den achtzigjährigen Null’ Annerl. Meine erste Bolle war (in meiner Vaterstadt Mannheim) der Kosinski gewesen. Die Kritik sagte mir „krassen Bealismus“ nach, beim Publikum war es 42