EGON ERWIN KISCH DIE SOZIALISTISCHEN TYPEN DES REPORTERS EMILE ZOLA Die Tat, mit der der Syndikalist Suwarin im Roman „Germinal“ das Bergwerk tötet, ist ein Strafgericht an den müßigen Nutznießern der Grube und an den Ausbeutern einer ausgemergelten Belegschaft, ist Vergeltung an den Streik brechern, ist Rache für den Menschenmord und ist Vollstreckung der poetischen Gerechtigkeit, — die tragische Schuld des Voreux und seiner Besitzer wird ge büßt. Der Maschinist als deus ex machina . . . Wem aber, fragen wir, wem nützt diese syndikalistische Einzeltat? Nicht einmal als Drohung an die Kapi talisten war sie vorher vorhanden, nicht einmal als abschreckende Gefahr war sie den Streikbrechern aus der Borinage und aus Montsou, dem Dorf der Zwei hundertvierzig, bewußt, nicht einmal als Hoffnung konnte sie den Streikenden leuchten, konnte die Monate gräßlicher Verzweiflung nicht kürzen, das Sterben durch Hunger und Gewehrpatronen keineswegs verhüten. Und da sie begangen ist, nützt sie noch immer nichts. In verhaltenem Zorn, nach zweieinhalbmona tigem Ausstand müssen die Kumpels mit gebeugtem Rücken wieder hinein in das Labyrinth des schwarzen Minotaurus, durch den Hunger überwunden; der Lohnverminderung mußten sie sich unterwerfen, die ihnen den Lohn für eine Stunde schwerer Arbeit stiehlt; sie mußten den Schwur (nicht einzufahren) brechen; und das Blut der gefallenen Kameraden ist ein niederschmetternder Vorwurf. Niemanden tröstet der Tod der Grube „Le Voreux“, fast niemand ahnt, daß es eine Tat von Menschenhand war, und niemand würde Suwarin dafür segnen . . . Wie aber stellt sich Zola zu dieser antimarxistischen Aktion des Antimarxisten Suwarin, der über die Internationale spöttelt und skeptisch über Karl Marx spricht? Zola loht und tadelt nicht, er gibt den Charakter seiner Gestalten in ihren Gesprächen. „Nichts als Dummheiten,“ läßt er den Anarchisten Suwarin antworten, als Lantier von der Weltumspannung der eben in London gegrün deten Internationalen Arbeiterassoziation schwärmt, „nichts als Dummheiten! Euer Karl Marx ist noch so weit, daß er die natürlichen Kräfte walten lassen will. Keine Politik und keine Verschwörung, wie? Alles ganz offen und bloß zum Zwecke der Lohnerhöhungen . . . Laßt mich in Frieden mit eurer Revo lution! Zündet die Städte an allen vier Enden an, mäht die Völker nieder, rasiert alles weg, und wenn nichts mehr übrig sein wird von dieser verfaulten Welt, dann wird vielleicht eine bessere an ihre Stelle kommen.“ Der eine von den zwei Kameraden, zu denen Suwarin das spricht, ist Stefan Lantier, von dessen systemlos angelesenen sozialistischen Grundsätzen Zola be richtet: „Obenauf stand die Idee von Karl Marx: ,das Kapital ist das Resultat der Beraubung“, die Arbeit hat die Pflicht und das Recht, diesen gestohlenen Reichtum zurückzuerobern. Stefan Lantier vertrat die Forderung von der Überführung der Produktionsmittel aus den privaten Händen in den Besitz der Allgemeinheit.“ Der Andere ist der Schankwirt Rasseneur. der keine Theorie kennt, so etwas wie ein unpolitisches Gewerkschaftsideal hat, gegen die Inter nationale und (aus geschäftlichen Gründen) gegen den Streik und für Bescheiden heit ist, „man dürfe von den Unternehmern nur das Mögliche verlangen, ohne —