VORBESINNUNG 19 hineinwirkt. Zu unserer eigenen Geschichtlichkeit gehört beides: Wissen vom Gewesenen und Handeln mit dem Dop pelblick auf das, worin wir von unserem Erbe her stehen, und zugleich auf das, was werden will, aber nur in dem Wagnis der Entscheidung für ein nie rational nur zu Errech nendes werden kann. Die Dynamik gegenwärtiger Entschei dung lebt in allem, was im Zusammen mit dem Vergangenen in der Gegenwart zur Zukunft gestaltet werden will. Dieser dynamische Konservativismus entspricht allein dem Wesen des zeitgebundenen und zugleich zeitgestaltenden geschichthchen Menschen, der weder absoluter Neuanfang noch endgültiges Ende ist, vielmehr das Wesen, das immer zwischen die Zeiten gestellt ist. Geschichthche Zeit erwies sich nicht als ein bloßes Ablaufen von gleichen Zeitmomen ten, weil in ihr stets auch der der Zeit ein besonderes Ge präge gebende menschliche Geist wirksam ist. Dieser aber trägt eine Tradition in sich und fügt ihr, sie zugleich ret tend und verändernd, bewahrend und weitergestaltend, ein Neues aus seiner Welt hinzu. Daher kann man — in An lehnung an Bergson — auch in der Geschichte und gerade in ihr zweierlei Zeit in einem sehen: Ablauf und erhaltende Dauer, die in den Verlauf ihr Erbe trägt, es durch ihn hin- dürchrettet und in ihm fortgestaltet. Das ergibt, wie Ernst Robert Curtius kürzhch gezeigt hat, eine »konservative« Geisteshaltung, die »Bewahrung und Neuschöpfung« der ge schichthchen Stunde als Aufgabe setzt, bei der Betrachtung der Geschichte aber über allen Relativismus des Vergehen den hinaus die »Konstanz«, das Statische und Bleibende im Dynamischen des Geschehens und Verfließens entdeckt - die Wandelbarkeit —, aber auch das, was sich wandelt und durch allen Wandel hindurch mit sich selbst identisch bleibt. Die »Vernunft« wandelt sich in ihren Formen und Gestaltungen in der Geschichte des Geisteslebens und bleibt doch die mit sich selbst gleiche Vernunft in allem Wandel ihrer Formen. Geschichtliches Bewußtsein, richtig — und das heißt aus dem Wesen des geschichtlich-seienden Menschen heraus