KLEINE BEITRÄGE Die Herkunft von Bachs „Thema Legrenzianum“ Das „Thema Legrenzianum“ aus Johann Sebastian Bachs Doppelfuge c-Moll BWV 574 konnte bisher in den Werken von Giovanni Legrenzi (1626-1690) nicht nachgewiesen werden. Auf der Suche nach dem von Bach benutzten Modell wurde stets das Anfangsthema der Fuge BWV 574 als Ausgangspunkt genommen, obgleich dieses Thema, wie Stephen Bonta bereits 1964 bemerkte, eher auf norddeutschen als auf italienischen Ursprung deutet. 1 Der Schlüssel zur Lösung des Rätsels um die Herkunft des „Themas“ liegt jedoch nicht im ersten Subjekt allein, sondern in dem den beiden Subjekten gemeinsamen Grundmodell. Dieses basiert auf einer auftaktigen, dominantischen Groppo- Figur, 2 gefolgt von einem Quintsprung abwärts und einem Oktavsprung aufwärts (Notenbeispiel 1). Daraus entsteht ein thematisches Gebilde, das für den italienischen Instrumentalstil des 17. Jahrhunderts überaus typisch ist. Im gedruckten Instrumentalwerk Legrenzis erscheint es als Eingangsthema der Triosonate g-Moll „La Mont’Albana“ op. 2 Nr. 11 (Venedig 165 y)- 3 Ein Vergleich dieser Triosonate mit BWV 574 zeigt, daß Bach nicht nur ein Thema entliehen, sondern einen ganzen Themenkomplex aufgegriffen und umgearbeitet hat. Bach, BWV 574, T. 37-38 | fi ■0 r# • 0 Beispiel 1. Unter den Sonaten aus Legrenzis Sammlung op. 2, die durch das Wieder aufgreifen des Eingangsthemas am Schluß eine formale Abrundung aufweisen, ist „La Mont’Albana“ die längste und komplizierteste. Das Eingangsthema im 6/8-Takt kehrt am Schluß wieder, diesmal als Kontrasubjekt zu einem neuen 1 S. Bonta, Tbe Cburcb Sonatas of Giovanni Legrenzi, Dissertation, Harvard University, Cam bridge/Mass. 1964, S. 528, Anm. 117. 2 Vgl. die tonale Beantwortung des ersten Subjekts in T. 5. 3 Vgl. Tbe Instrumental Music of Giovanni Legrenzi: Sonate a due e tre, Opus 1, i6jj, hrsg. von Stephen Bonta, Cambridge/Mass. 1984 (Harvard Publications in Music. 14.), S. 36-41. Zu ,,Mont‘ Albana“ vgl. MGG 9, Sp. 485p