Bachs Stellung in der Leipziger Kulturpolitik seiner Zeit* Von Ulrich Siegele (Tübingen) 0 III. AMTSZEIT (Fortsetzung) Die Kapellmeisterpartei als Patron Wie Bachs „Entwurffeiner wohlbestallten Kirchen Music“ vom 23. August 1730 belegt, sah er in Leipzig seinen Endzweck einer regulierten Kirchen musik nicht verwirklicht. 1 Was hat ihn dann bewogen, die Köthener Stelle, wo der Souverän seine Zielvorstellung nicht oder nicht mehr teilte, mit der Leipziger Stelle, wo die strukturellen Voraussetzungen für ihre Verwirklichung nicht gegeben waren, zu vertauschen? War es nur der finanzielle Aufstieg, die Aussicht auf ein nominal höheres Gehalt, die sich dann real - zumindest in seinem Bewußtsein - als trügerisch erwies? Oder glaubte er, sich auf die Kapellmeisterpartei, als deren Kandidat er gewählt werden sollte, dann auch während seiner Amtszeit stützen zu können? Und hat die Kapellmeisterpartei ihn tatsächlich gestützt, hat sie ihrem Kandidaten, nachdem sie seine Wahl erreicht hatte, fortan in der Ausübung seines Amts die Stange gehalten? Ich kann hier aufgrund der mir zur Verfügung stehenden Quellen und im vorliegenden Zusammenhang nur die Rahmenbedingungen skizzieren und einzelne Hinweise darauf geben, wie diese Rahmenbedingungen konkret auf Bachs Dienstverhältnis eingewirkt haben. Die erste Rahmenbedingung ist das Leipziger Regierungssystem. Die drei Bürgermeister regierten reihum jeweils ein Jahr. Das Regierungsjahr ging von September des einen bis August des nächsten Kalenderjahrs; die Amtsübergabe fand am letzten Montag im August statt. Man könnte dieses Regierungssystem charakterisieren als eine Allparteienkoalition dreier Parteien, in der in jährlichem Wechsel einer der Parteivorsitzenden den Regierungschef stellte. Der Machtausgleich war in diesem Regierungssystem dadurch gesichert, daß der jeweilige Regierungschef während seines Jahrs zwar die Möglichkeit hatte, die Realisierung der Vorstel lungen seiner Partei mit Nachdruck voranzutreiben, die Realisierung der Vorstellungen der beiden anderen Parteien zurückzudrängen, zugleich aber damit rechnen mußte, daß in den beiden folgenden Jahren nacheinander die Realisierung der Vorstellungen der beiden anderen Parteien in den Vorder grund treten, die Realisierung der Vorstellungen seiner eigenen Partei ins gesamt zurücktreten würde. Angesichts der Wiederbesetzung des Kantorats an der Thomasschule nach Johann Kuhnaus Tod schlossen zwei dieser drei Parteien des Leipziger Rats eine Koalition, so daß in den Verhandlungen und während der folgenden Amtszeit nur zwei Parteien in Erscheinung treten: Die Kapellmeisterpartei * Schluß des gleichnamigen Beitrages aus Jg. 198; (S. 7-50) und 1984 (S. 7-43). 1 Dok I/22; vgl. Fs. Georgvon Dade/sen, Neuhausen—Stuttgart 1978» S. 316fT.