Bachs Handexemplar der Schübler-Choräle Von Christoph Wolff (Cambridge, MA) Bei der Redaktion der Bachschen Originalausgaben für die Gesamtausgabe der Bach-Gesellschaft (BG) war nur von einem einzigen Werk das Hand exemplar des Komponisten bekannt, und zwar dasjenige der SECHS CHOKALE von verschiedener Art, der sogenannten Schübler-Choräle BWV 645-650. Friedrich Konrad Griepenkerl hatte es für die Bände VI und VII seiner Peters-Ausgabe der Orgelwerke (1847) erstmals berücksichtigt. Auch zog es Wilhelm Rust für die Editionsarbeiten an BG 25/2 (1878) heran. Nun sind in der Zwischenzeit zu fast allen anderen Originaldrucken Bachs die Handexemplare des Komponisten gefunden bzw. identifiziert worden, 1 so daß das Handexemplar der Schübler-Choräle seine singuläre Stellung verlieren mußte. Dennoch büßte es trotz seiner relativ frühen Auswertung durch Griepenkerl und Rust vor allem wegen der besonderen Reichhaltig keit und Instruktivität der handschriftlichen Nachträge und Korrekturen Bachs seine Bedeutung nicht ein. Im Gegenteil, es erlangte geradezu legen däre Berühmtheit, da es in den 1850er Jahren spurlos verschwand und als verschollene Quelle für mehr als ein Jahrhundert dem Zugriff der Bach- Forschung entzogen war. Rust, der 1852 jenes Handexemplar (das aus dem Nachlaß Griepenkerls in den Besitz von Siegfried Wilhelm Dehn gelangt war) bei Dehn in Berlin eingesehen hatte, beklagt im Vorwort zu BG 25/2 das Verschwinden der Quelle: „Wer jetzt der glückliche Besitzer davon sein mag, kann nicht nachgewiesen werden“ (S. XV). Erst im Sommer 1975 gelangte das Handexemplar über den internationalen Antiquariatsmarkt wieder ans Licht 2 und fand einen Besitzer, 3 dessen Großzügigkeit ein neuer- 1 Um 1890 tauchte Bachs Handexemplar des 2. Teils der Klavierübung in Dresden auf (heute in der British Library, London, Signatur: K.S.g.7); vgl. hierzu W.Emery in NBA V/2 Krit. Bericht (im Druck). — 1975 wurde das Handexemplar der Goldberg- Variationen bekannt (heute in der Bibliotheque nationale, Paris, Signatur: Ms. 17669); vgl. hierzu Chr. Wolff in NBA V/2 Krit. Bericht (im Druck) und ders., Bacb’s Hand exemplar of the Goldberg Variations; A New Source, in: Journal of the American Musico- logical Society, 29, 1976, S. 224-241. - R.D. Jones bringt in NBA V/i Krit. Bericht (im Druck) Argumente dafür, daß es sich bei dem Exemplar des 1. Teils der Klavier übung in der British Library, London (Sammlung Hirsch, III.) 7), um Bachs Hand exemplar handelt. — Zum vermeintlichen bzw. wirklichen Handexemplar Bachs des 3. Teils der Klavierübung siehe unten, Abschnitt II. 2 Mitte der 1950er Jahre war im Bach-Archiv Leipzig ein gewisser Aleksander Ewert aus Polen als Besitzer des fraglichen Handexemplares bekannt (laut Mitteilung von H.-J. Schulze), ohne daß jedoch das Exemplar selbst Vorgelegen hätte. 3 William H. Scheide, Princeton, N. J. (USA), erwarb es über das Antiquariat Albi Rosen thal, Oxford (England). Mr. Scheide sei auch an dieser Stelle für die freundliche Ge nehmigung zur Einsichtnahme in die Quelle und für die Bereitstellung von photo graphischem Material gedankt.