100 Walter Köckeritz Neumarkt - Rekonstruktion und moderne Architektur Die Neubebauung eines innerstädtischen Areals von der Größe des Dresdner Neumarktes dürfte, abgesehen von der städtebaulichen Neuordnung im Bereich des Berliner Stadt zentrums, eine gegenwärtig im europäischen Raum einzigartige Bauaufgabe und Heraus forderung für Bauherren und Architekten sein. Umgeben und durchsetzt von monumentalen Solitären und maßstabbildend für die wieder errichtete Frauenkirche, sollen in einem traditionsreichen Teil der Dresdner Innenstadt Qua litäten wiedergewonnen oder neu geschaffen werden, die dem historischen Image und dem hohen Anspruch an das künftige Stadtbild gerecht werden. Wer an dieser Aufgabe arbeitet und hier Entscheidungen treffen muß, gerät zwangsläufig in das Zielfeuer der Vertreter der reinen Lehre aus den Reihen der Kunsthistoriker und Architekten. Die einen fordern im Sinne des Weiterbauens im Geiste der Zeit ein konsequentes und durchgängiges Bauen mit den Stilmitteln der Gegenwart, die anderen mit dem Hinweis auf den in der Regel mißlunge nen modernen Wiederaufbau ost- und westdeutscher Städte in den Nachkriegsjahren eine vollständige Rekonstruktion des Neumarktes, zumindest der Fassaden. Derweilen besuchen Touristen zu Tausenden die Altstädte von Nürnberg und Rothenburg, flanieren vor dem Haas-Haus und dem Hundertwasser-Haus in Wien, durch das St. Martinsviertel in Köln, Über den Frankfurter Römerberg und strafen die Theoretiker Lügen. Oder sind sie selbst die Belogenen? Der bisher in der Planung am Neumarkt beschrittene Weg sieht vor, das Gebiet zwischen Schloß und Kurländer Palais, zwischen Brühlscher Terrasse und Wilsdruffer Straße in den Straßen- und Platzfronten, Traufhöhen und Gebäudebreiten der Vorkriegszeit wieder zu errei chen. Besonders wertvolle und ausreichend gut dokumentierte Gebäude sollen als »Leitbauten« in ihrer ursprünglichen Form wiedererrichtet werden und hinsichtlich ihrer Abmessungen, Pro portionen und Feingliedrigkeit Wertmaßstäbe für die weitere Bebauung liefern. Dieser andere und größere Teil der Bebauung soll aus Gebäuden bestehen, an denen per Satzung Fenster achsen, Geschoßhohen, horizontale Gliederungselemente und Dachformen vorgeschrieben sind oder aus Gebäuden, deren Gestaltung aufgrund ihrer exponierten Lage nur durch Architektur wettbewerbe entschieden werden kann. Wird ein solcher Weg zum Erfolg führen oder sind die gestalterischen Vorgaben so stark, daß das Ergebnis weder Fisch noch Fleisch ist? Bei den Leitbauten ist das Ergebnis sicher am einfachsten vorher zu beurteilen. Bisherige Erfahrungen in der Restaurierung und Rekonstruktion im sächsischen Raum lassen erwarten,