Giuseppe Torelli und Johann Sebastian Bach 85 Wechsel (Piano- und Forte-Bezeichnungen) klanglich abheben kann; Manual wechsel und Formstruktur sind hier für einmal kongruent, allerdings mit einer Ausnahme: in T. 44 wird das Forte auch für ein Echospiel innerhalb der Epi sode verwendet. Die Vermutung, daß Walther das klanglich-dialogisierende Moment wichtiger war als die „Forminterpretation“, ist also recht nahelie gend. 156 Trotz der sehr einfachen Struktur ist der Satz - jedenfalls in der Orgelfassung - ein recht ansprechendes Stück. Der für Vivaldi gelegentlich vorgeschlagene Terminus „Modulationsrondo“ trifft den Sachverhalt in Gregoris Schluß- Allegro recht gut. 157 Der starke Kontrast zwischen Ritornellen und Episoden läßt das Erlebnis des „Wiedersehens“ beim Ritornell-Eintritt zu einem primä ren Faktor des Hörerlebnisses werden. Das ist bei Bach und bei Torelli anders: die Rit-Ep-Struktur ist mehr als hintergründiger Ordnungsfaktor wirksam; durchgehende rhythmische Muster überdecken diese Struktur. Bei Torelli ist die Perpetuum-mobile-Bewegung ganz durchgezogen (op. 8/1, Allegro mä non presto), bei Bach sind - wie ich zu zeigen versuchte - verschiedene großfor male Gliederungen möglich. Johann kirnst von Sachsen-Weimar, Konzertsatz C-Dur (B WV 9&4I1 und 595 ) Der junge Prinz Johann Ernst von Sachsen-Weimar (1696-1715) war „vom Junio des iyijten, bis in den Mertz des I7i4ten Jahres“ Kompositionsschüler von Johann Gottfried Walther, „in welcher Zeit er, unter meiner [= Walthers] geringen und unterthänigsten Anführung 19 Instrumentalstücke elaboriret, wovon 6 Concerten durch Kupferstich in folio publicirt worden sind“. 158 Der hier zu besprechende Konzertsatz spiegelt somit das Bild, das sich Walther, Bachs Weimarer Organistenkollege, um 1713/14 von der „Konzertform mit Kurz-Ritornellen“ gebildet hatte. Walther war ein ausgezeichneter Beobachter und systematischer „Ordner“ aller musikalischen Phänomene, jedoch nicht ein wirklich schöpferischer Komponist. So zeigen auch seine Bearbeitungen italie nischer Konzerte einen enzyklopädischen Zug: es ging ihm darum, von vielen Komponisten je ein Muster bereitzustellen. Daß Torellis Name dabei am häu figsten (dreimal) auftaucht, ist immerhin bemerkenswert. Der Konzertsatz in C-Dur, als dessen Komponist Johann Ernst genannt wird, liegt ausschließlich in zwei Fassungen von der Hand Bachs vor: die ursprüng liche Orchesterfassung des Prinzen ist nicht erhalten. 159 Eigenartigerweise sind die beiden Bachschen Versionen in ihrer Form nicht kongruent: die Orgel- Fassung BWV 595 ist mit 81 Takten um etwa ein Fünftel länger als die Cem balo-Version BWV 984/1, die nur 66 Takte zählt. In der Figur V sind die bei den Werkfassungen synoptisch dargestellt. Wir wenden uns zuerst der kürzeren Cembalo-Fassung BWV 984 zu. 156 Zu den Fragen der „Forminterpretation“ siche unten S. 87. 157 Kritisch äußert sich zu diesem Terminus z. B. Rudolf Eller in seinem bei Fußnote 145 ge nannten Aufsatz, S. 34. 158 J. G. Walther, Mus/cal/scbes Lex/con Oder Musical’sebe Bibliotbec, Leipzig 1732 (Reprint Kassel 1953), S. 331. Siehe auch Schulze Bach-Überlieferung, S. 157. 159 NBA IV/8 Krit. Bericht (K. Heller), S. 73-76.