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67 iszt“ all das in die Tat umzusetzen, was sein Bruder angeregt und vorgedacht hatte, einge- chlossen die engagierte Pflege des zeitgenössischen Schaffens. »Der Übergang von Eisenach nach Dresden vollzog sich, wie wir aus den Berichten von Zeit- Jzeugen wissen 4 , nicht ganz reibungslos. Zu unterschiedlich waren die Startbedingungen. In |der Geburtsstadt Bachs am Fuße der Wartburg hatte Rudolf Mauersberger von Grund auf neu ufbauen und nahezu uneingeschränkt seine Vorstellungen verwirklichen können. In Dresden jsah er sich eingefahrenen Traditionen gegenüber, die wiederum auch kaum vergleichbar waren mit den Erfahrungen seiner Kindheit und Jugend im Erzgebirge und während des Studiums am Leipziger Konservatorium. Sein Amtsvorgänger, Prof. Otto Richter, stammte zwar auch -aus dem sächsischen Raum, der Oberlausitz, aber er war wesentlich geprägt worden durch das jStudium am Königlichen Institut für Kirchenmusik und der Akademischen Meisterschule für Komposition in Berlin und die 16jährige Tätigkeit als Kirchen- und Schulmusiker in der seit 1815 preußischen Lutherstadt Eisleben. Er vertrat eine Richtung, der sich der nahezu eine Generation jüngere Mauersberger nicht mehr verpflichtet fühlen konnte. Obwohl er selbst noch in vorgerücktem Alter größere Werke komponierte, hatte Richter keinen Zugang mehr zu dem liturgisch-musikalischen Neuaufbruch, der sich während der letzten Jahre seines Wir kens als Kreuzkantor vollzog. Er vertrat noch das Kirchenchorwesen alten Stils und blieb im Grunde seines Wesens „Romantiker“, auch in seinen Interpretationen der Werke von Bach und Schütz, für den er in den 20er Jahren nachdrücklich eintrat. Mauersberger war demgegenüber bestrebt, neue Konzeptionen durchzusetzen. Dazu gehörte an erster Stelle die für ihn essentielle Einbindung alles Singens und Musizierens im Raum der Kirche in feste liturgische Ordnungen. An die erzgebirgischen Traditionen anknüpfend, ent wickelte er eigene liturgische Modelle für die Christmette und -vesper und bald auch für eine Ostermette, die Schritt für Schritt reicher und beziehungsvoller ausgestaltet wurden. Auch die Gottesdienste der Sonn- und Feiertage und die allwöchentlichen Vespern des Kreuzchores erhielten fortan ihre eindeutig geprägte liturgische Gestalt, bezogen auf den Charakter und die Schriftlesungen des jeweiligen Tages. Mauersberger schrieb dafür zum Teil eigene Sätze oder übernahm Kompositionen der Eisenacher Jahre. Sein besonderes Bemühen galt der Wiederge winnung der rhythmischen Urgestalt der älteren Kirchenlieder, die in Sachsen zu jener Zeit noch nicht wieder gebräuchlich war, während sie in Thüringen durch das neue Gesangbuch mehr und mehr zum festen Besitz zu werden begann. In engem Zusammenhang mit diesen Bemühungen arbeitete Mauersberger an der Aufhellung und. „Entromantisierung“ des Chor klanges, für die ihm das Farbenspektrum der sächsischen Barockorgeln als erstrebenswertes Ideal vorschwebte. Sie war eine unerläßliche Voraussetzung für die stilgemäße Wiedergabe sowohl der alten Meister wie des neuen Schaffens. Und dieses rückte in Dresden immer mehr in den Brennpunkt. In den vier Jahrzehnten seines Kreuzkantorats hat Rudolf Mauersberger mit seinem Chor so viele Werke neuer Kirchenmusik aufgeführt wie wohl kein anderer Diri gent in vergleichbarer Position. In seinen Programmen fehlte - über konfessionelle Grenzen hinweg - kaum einer der wesentlichen Namen, von den Vertretern der älteren Generation Arnold Mendelssohn, Joseph Flaas, Heinrich Kaminski, Eberhard Wenzel über Günter Raphael, Ernst Pepping, Hugo Distier, Kurt Thomas, Wolfgang Former, Kurt Hessenberg, Siegfried Reda, Willy Burkhard, Günter Bialas, Dietrich Manicke, Johannes Drießler hin zu Giselher Klebe und dem jazzinspirierten Heinz Werner Zimmermann. Nicht wenige Werke erlebten durch den Kreuzchor unter Mauersberger ihre Uraufführung und wurden auf den alljährlichen Konzertreisen weit ins Land und über die Grenzen hinweg getragen und zur Anerkennung gebracht. J ahr für Jahr stellte der Kreuzkantor neue Werke zur Diskussion. Ein