VON WERNER BRONZART Kinderstube der Polizei — selbstverständlich hat die Polizei in allen deutschen Städten eine gute Kinderstube, das kann man schon an jedem einzelnen Ver kehrsschutzmann feststellen, der die Autos und anderen Fahrzeuge in die richtige Bahn lenkt. Mit welcher Höflichkeit und Zuvorkommenheit tut er das! Hat also die deutsche Polizei keine gute Kinderstube ? Hier ist aber eine andere Kinderstube gemeint, nämlich das Kinderzimmer, das seit einiger Zeit in allen deutschen großen Polizeipräsidien eingerichtet worden ist. Es handelt sich dabei auch keineswegs um ein Zimmer, in dem Kinder gesammelt werden, die sich verlaufen haben. Nein, das Kinderzimmer hat vielmehr eine weit ernstere Bedeutung, es ist nämlich das Zimmer, in dem Jugendliche über Sexualdelikte usw. einem Verhör unterzogen werden. Warum man dieses Zimmer gerade das Kinderzimmer nennt? Es ist auf das kindliche Gemüt wirkungsvoll eingerichtet. Man will bei den Kindern, die hier von erprobten Kriminalbeamten vernommen werden, nicht den Eindruck auf- kommen lassen, als befänden sie sich an Amtsstelle, sondern man will den Eindruck hervorrufen, als hielten sie sich in einem Schulzimmer auf, also an einem Orte, der ihnen vertraut ist. Diese Einrichtung hat sich in allen Großstädten schon vor teilhaft bewährt. Die Kinder legen hier die Scheu ab, die sie der Polizei gegenüber empfinden, sie fühlen sich frei und erleichtern dadurch in vielen Fällen den Kri minalbeamten ihre nicht leichte Arbeit. Die Vernehmung von Jugendlichen, die als Zeugen bei Sittlichkeitsverbrechen usw. in Frage kommen, vielleicht auch als Zeugen über sittliche Verfehlungen gehört werden sollen, die sich Angehörige in ihrer Gegenwart in der Familie oder in der Wohnung haben zuschulden kommen lassen, ist von jeher eines der schwie rigsten Kapitel der Kriminalistik und deutschen Rechtspflege. Kinder neigen bekanntlich zum Lügen, und nur der erfahrene Beamte kann einen Unterschied machen, was bei dem Kinde, das ihm zur Vernehmung gegenüber sitzt, Dichtung und Wahrheit ist. Die kindliche Phantasie stellt sehr oft das als wahr hin, was sich in Wirklichkeit gar nicht abgespielt hat. Aus diesem Grunde ist nach einer mini steriellen Verordnung auch grundsätzlich der Polizei und Kriminalpolizei die Ver nehmung Jugendlicher in wichtigeren Strafsachen, besonders bei Sexualdelikten, gleich ob sie Zeugen oder Beschuldigte sind, untersagt. Diese Vernehmungen sind VI 1707