EINE ERZÄHLUNG VON L. ANDRO (TH. R I E) ILLUSTRIERT VON KARL BLOSSFELD ch, Ambrosius Kettenmeier, schreibe in meinem vierundsiebzigsten Lebensjahre dies, mein seltsamstes Erlebnis nieder, ch schreibe es im Sommer des Jahres 1886, ;enau fünfzig Jahre nach seinem Ge- chehen und ich muß es tun, weil nie- nand auf meine Reden hören will. Denn neine Kinder meinen mit einem Lächeln, dl dies wäre das törichte Gefasel eines Preises und sie haben mir verboten, ihren v indem davon zu erzählen, auf daß ich hnen ja nicht dergleichen Köhlerglauben in len Kopf setze. Sie ist freilich arg gescheit jeworden, ihre Zeit: man setzt sich in das wohlgepolsterte Kämmerlein eines eisernen Häuschens, das durch Dampfkraft getrieben wird, und am nächsten Morgen wacht man in einem fremden Lande auf und hat gar nichts von der Reise gemerkt. Man drückt an einem Ende der Welt auf einen Taster und am ändern entstehen lauter Punkte und Striche, aus denen genau zu ersehen ist, was der erste gemeint hat. Sie haben viel gewonnen in dieser Zeit, das ist wahr, aber sie wissen nicht, was sie verloren haben. Sie haben es verlernt, die geheimnisvollen Stim men der Natur zu verstehen, sie kennen die guten und bösen Gewalten nicht mehr, die dort ihr Spiel treiben. Sie werden alle reich in unsem Tagen und wissen nicht, wie arm sie geworden sind. Doch das sind, wie meine Kinder sagen würden, törichte Gedanken eines alten Mannes, der in diese Welt nicht mehr hineinpaßt. Ich schreibe dies des Abends beim Schein einer kleinen Oellampe. Es ist schwül in dem Dachkämmerchen, das sie dem Alten eingeräumt haben. Von unten höre ich gedämpft das Klavierspiel meiner Enkelin, ihre Finger sausen stürmisch von einem Ende der Klaviatur zum ändern. Ich kann keine rechte Musik heraushören, aber man sagt mir, sie spiele virtuos und das Stück wäre eine glänzende Paraphrase von Liszt. In meiner Jugend spielten wir Mozart; mir klang das anders. Aber ich muß mich beeilen. Meine Augen sind schwach, meine Finger zitterig. Wer weiß, ob ich mit meiner Arbeit zu Ende komme. Ich bin ein Försterssohn. Meine erste Kind heit habe ich in Wäldern verbracht, die mir wunderbar schienen, die voll von schönen und unheimlichen Märchen waren, welche sich die wenigen Menschen, die ich kannte, mit leiser Stimme erzählten. Ich war noch sehr klein, als mein Vater starb. Er wurde eines Nachts tot aus dem Walde nach Hause gebracht, und es scheint, der Schlag habe ihn gerührt. Ich habe mich freilich später zuweilen gefragt, ob denn ein kräftiger Mann so ohne weiteres umsinken könne und tot sein, oder ob nicht dunklere Mächte ihre Hand dabei im Spiel gehabt haben. Doch das gehört nicht hierher. Der unverheiratete ältere Bruder meiner Mutter, ein angesehener Baumeister aus Wien, holte uns nun zu sich in die Stadt. Meine Mutter, selbst ein Stadtkind, das nie gern auf dem Lande gelebt hatte, fand sich, nachdem der erste Schmerz vorüber war, rasch genug in ihr Leben, das von Haushalt und Familienbeziehungen ausgefüllt war. Mir ward das Dasein wesentlich schwerer. Eine unbändige Sehnsucht nach dem Rau schen der Bäume trieb mich hinaus, wenig- 1005