WA VON 3-E KE T/T 'Jirfhm ,ms > diesen Beitrag aus der Feder unseres Mitarbeiters VV Jeke veröffentlichen z u können, um unsern Lesern Gelegenheit geben, Stellung zu dem hier angeschlagenen Thema %u nehmen. Wir sind sicher, daß das große Publikum sich ^stimmend %u diesen Aus führungen äußern — und damit der Justiz den Beweis erbringen wird, daß auch in dieser Hinsicht eine „ Vertrauenskrise “ eingetreten ist. Auch der pflichtbewußte Staatsbürger sieht sich immer mehr in die Not wendigkeit versetzt, die Zeugenschaft zu „schwänzen“, um nicht Gefahr Zu laufen, als zwiefach „Angeklagter“ den Gerichtsaal z u verlassen. Auf der elektrischen Straßenbahn war eine Prügelei entstanden. Der Wagen wurde zum Halten gebracht, ein Polizist herbeigerufen. Einige von den An wesenden wurden als Zeugen aufgeschrieben. Mein Freund Sokrates bat den Sipo, ihn nicht vorzumerken, da er morgen nach England reise und monatelang abwesend sein würde. Er hatte zuerst dem Wortwechsel, dann der Prügelei aus nächster Nähe beigewohnt. Ich blickte ihn fragend an, da ich von seinem Vorhaben nichts wußte. „Du reist morgen nach England ?“ „Ich denke nicht daran. Nur lasse ich mich auf Zeugenaussagen prinzipiell nicht ein. Diese Angelegenheit wäre sicher von keiner Bedeutung, doch Prinzip ist Prinzip.“ „Oho!“ erwiderte ich. „Meiner Ansicht nach ist die Zeugenaussage die Pflicht jedes Bürgers und schließlich auch eine moralische Pflicht jedes einzelnen seinen Mitmenschen gegenüber.“ Sokrates wehrte ab. „Eine Pflicht, deren Erfüllung mit organisiertem Undank honoriert wird. Ich bin Anhänger der Institution der falschen Zeugen. Die werden bezahlt, sagen aus, was man von ihnen verlangt, und das Gerichtsverfahren leidet nicht darunter, da es dem Richter freisteht, die Aussage nach seinem eigenen Gut achten zu werten.“ Ich kenne Sokrates’ paradoxe Gedankengaukeleien und ging bei dieser Gelegenheit nicht weiter auf seine Bemerkung ein. Doch als wir später in seinem behaglichen Rauchsalon gemütlich heisammensaßen, kam er selbst auf das Thema zurück. „Kennst du die uralte Anekdote vom polnischen Judlen? Man fragt ihn wohin er gehe. ,Zu Gericht. 4 — ,Was hast du bei Gericht zu tun? 4 — ,Zeugenaussage. 1 — ,In welcher Angelegenheit ? 4 — ,Nu, was sich trifft. 4 — Siehst du, das ist aus dem Leben gegriffen. 44 „Du wirst es doch nicht als einen Standard der Honorität hinstellen wollen ? 44 „Das nicht, aber als eine zweckdienliche Einrichtung, die es ebensowenig ver dient gerichtlich verfolgt zu werden, wie die gewissenhaften, anständigen Zeugen, die im Gerichtssaal tatsächlich einer Verfolgung ausgesetzt sind. 44 Er nahm eine Mappe zur Hand, in der er gewisse, ihn interessierende Zeitungs ausschnitte zu sammeln pflegte. „Lies bitte diese Notiz 44 , sagte er und reichte mir einen sauber aufgeklebten Zeitungsabschnitt aus einem Prozeßbericht. „Und?!“ fragte ich, als ich die Lektüre beendet hatte. „Was willst du damit sagen 9“ IV/23 1069