Doroschewitsch Die Tänzerin £D/lc sJa u Aus dem Russischen von DOROSCHEWITSCH frei nacherzählt von B. GALIN „Allah, dem Einzigen und Allmächtigen zu Ehren und seinem Propheten zum Lob und Ruhm! Im Namen des Sultans und Emirs von Bagdad, des Kalifen aller Rechtgläubigen und des ergebenen Dieners Allahs — Harun-al-Raschid! Wir, der Großmufti von Bagdad erlas sen diese heilige Fetwa und tun allen kund und zu wissen: Die Sittenlosigkeit greift immer mehr und mehr um sich auf Erden. Gastereien und Belustigungen richten Länder und Völker zugrunde. Die Ursache dieses moralischen und physischen Verfalls sind die Frauen. Sie lassen die Vorschriften und Beleh rungen des heiligen Korans und des weisen Scheriats außer acht. Sie behängen sich mit Kostbarkeiten vom Kopf bis zu den Zehen. Sie umhüllen sich mit einem Schleier, durchsichtig wie der Rauch des Nargileh und umkleiden sich mit feinsten Geweben, die die verführerischen Reize ihrer Körper erst recht sichtbar machen. Sie haben ihren Körper, diese Schöp fung Allahs, zu einer Waffe der Ver führung und der Sünde geformt. Von ihren Reizen angelockt und ver führt, verlieren Krieger — den Mut, Kauf leute — das Vermögen, Handwerker — den Fleiß, Landwirte — die Liebe zu ihrer Scholle. Daher erachten wir es als unsere höchste Pflicht, der Schlange ihren tod bringenden Stachel herauszureißen. Und so tun wir hiemit allen Einwoh nern der großen Hauptstadt Bagdad kund und zu wissen: Von nun ab und für alle Zukunft: Tanz, Musik und Gesang, Lachen und Spässe sind ausnahmslos verboten. Die Frauenschleier müssen aus grober Leinwand sein, mit nur ganz schmalen Spalten für die Augen, damit sie nicht, wenn sie auf der Straße gehen, mit Ab sicht auf die Männer stoßen. So will es das Gesetz. Das Gesetz ist zu achten und zu befolgen, als ob es vom großmächtigen Kalifen Harun-al-Raschid persönlich er lassen worden wäre. Von seiner Gnade und Ernennung der Großmufti der Stadt Bagdad Scheich Hafis . . .“ Als ob die Pest in der Stadt zu Gast wäre. Es ist in der Stadt so still geworden, wie auf einem Friedhof. Die Menschen sind schon einmal so: wenn sie rebellieren, so tun sie es ohne Sinn und ohne Unterlaß, und wenn sie fromm und gehorsam sind, graut selbst der Obrigkeit davor. Zu dieser Zeit lebte in der fernen Stadt Kairo, der Stadt der Freude und der Fröhlichkeit, des Lachens und der Heiter keit, des Genusses und der Verschwendung, eine Tänzerin namens Fatima. Sie war unter den Tänzerinnen Kairos rühmlichst bekannt, und die Tänzerinnen Kairos sind ja wieder unter den Tänzerinnen der ganzen Welt berühmt. Sie hat viel von dem Prachtaufwand, von der Lebenskunst und der Lebenslust der großen Stadt Bagdad reden gehört. Viel auch vom großen Kalifen Harun-al- Raschid, von seinem Glanz, seiner Weis heit, seiner Freigebigkeit. Und sie beschloß nach Bagdad zu ziehen, um auch dort ihre Kunst zu zeigen. Weit und beschwerlich war der Weg, aber Fatima, sie achtete nicht darauf. Sie ließ verkünden, daß die bekannte Tänzerin Fatima aus Kairo eine Kunst reise unternehme. Ihr Ruhm ging ihr voran. So stieg sie in Alexandrien zu Schiff, in kostbare Ge- 33