Max Stebich MAX STEBICH Lydia Farrugia war weit über Korfu hinaus, eine anerkannte Schönheit. Selbst in Athen erzählte man sich Geschichten von ihrer blendenden Er scheinung. Sie war erst seit einigen Monaten die Gattin des griechischen Bild hauers Gustinio Farrugia und bewohnte mit ihm eine herrliche Villa in M a n d u- c h i o, in einem mit Naturschönheiten überschwenglich bedachten Vororte von Korfu. Das entzückende Haus, das durch seine architektonische Pracht und seinen unschätzbaren inneren Wert zu den aller ersten der ganzen Stadt zählte, lag mitten in einem feenhaften Garten, in dem die reiche südliche Flora wahre Orgien an Blüten und Düften feierte. Von den großen Fenstern des Hauses genoß man ■einen gottvollen Fernblick auf das wogende und gisahende Meer, auf die Böcklinische Totendnsel Pondikonisi mit dem zypressenumgebenen Kloster und auf den Erlöserberg. Lydias Gemahl war von kleiner, unan sehnlicher, höckriger Gestalt, aber sein Gesicht war durchgeistigt, seine Augen lagen tief und waren blaugrün. Er stand gewöhnlich vom ersten Aufflammen der Morgensonne bis spät in die Nacht bei seinen marmornen Gestalten und meißelte mit großer Liebe seine großen Gedanken in den harten, seelenlosen Stein. Als das formvollendetste, harmonisch- ausgeglichenste Modell zu seinen Schöpfungen galt ihm seine junge Frau. Er liebte sie über alle Maßen, war be rauscht von ihrem herrlichen Körper und betört und umstrickt von ihrer pochen den Leidenschaft. Wo immer er mit ihr in Gesellschaft erschien, war sie in wenigen Minuten von der eleganten umworben und vergöttert, während ich infolge seines abstoßenden Wesens stets in den Hintergrund ge drängt fühlte. Das löste in der Tiefe seiner Seele mählich eine stille Eifer sucht aus, die schließlich so furchtbar aufloderte, daß er Lydia von jeder Gesell schaft ausschloß und sie in die weit halligen Räume seines Palastes ver bannte. Von der Zeit an war ihr einziger Weg nur der in sein Atelier, wo sie oft stundenlang seinen künstlerischen In spirationen gefügig sein mußte. In Korfu wußte man, daß der Künstler eben mit einer großen Arbeit beschäftigt sei und jedermann erwartete mit Span nung die Vollendung seines Werkes. Diese Spannung war um so begreiflicher, als es bekannt war, daß Lydia das Vorbild zu seiner Schöpfung war. Es war an einem heißen Sommerfeier tag, gegen Abend. Gustinio Farrugia hatte den ganzen Tag fast ohne Unterbrechung gearbeitet. Sein Eifer wuchs von Stunde zu Stunde ins grenzenlosere. Lydia hafte sich aber schon seit einigen Tagen vor genommen, an diesem Abend nach langem wieder einmal einer Opemaufführung im Teatro vecchio beizuwohnen. Als sie gerade dabei war, ihr schweres, blau- schwarzes Haar aus dem Knoten zu lösen, um es für den brillantenen Kopfschmuck nach Art griechischer Göttinnen zu glätten, trat Gustinio in ihr Boudoir und bat sie, nicht ins Theater zu gehen, sondern ein letztes Mal sitzen zu wollen, da er die Absicht habe, das große Werk noch an diesem Tage zu beenden. Ein schwerer Schatten unerwarteter Ent täuschung glitt über das hübsche Ge sicht der jungen Frau; das helle Feuer in ihren seelenvollen Augen erlosch und die Frische ihres duftenden Körpers schien plötzlich von Frost geschüttelt zu sein. Unwillig steckte sie sich das Haar wieder zurecht, streifte unendlich müde das rosaseidene Tea Gown vom Körper, 58