i6 Hans-Martin Pleßke acfgab und in Dresden als Musikschriftsteller wirkte, in seinen herzerfri schenden Erzählungen zur Belebung und Reinigung des poetischen Bach bildes beigetragen zu haben. Autobiographische Züge weist Söhles Roman Der verdorbene Musikant d9 auf, in dessen 16. Kapitel („Bach“) er sein Eindringen in die Musik dieses Mei sters schildert. „Mit der Erschließung Bachs erhielten mein Geschmack und meine musikalische Entwicklung die letzte Weihe. Sebastian Bach vor allem ist mir geworden Anker und Hafen für mein ganzes späteres musikalisches Leben“ (S. 192). Das Kulturbild aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts Sebastian Hach in Arn stadt 60 ist ein Kleinod der Bach-Belletristik, Söhles volkstümlichstes und be kanntestes Werk überhaupt. Dem Sprachstil der Zeit angepaßt, urwüchsig, mit köstlichem Humor gewürzt, erleben wir zwei Bachsche Familientage in Arnstadt und Eisenach, zwischen denen sich Sebastians Reise nach Lü beck und sein Verzicht sowohl auf die Marien-Orgel als auch auf die alt jüngferliche Tochter Buxtehudes vollzieht. Das sind echte Menschen aus Fleisch und Blut, diese Bache, die Sohle seinen Lesern nahezubringen ver steht, Kantoren, Organisten und Stadtpfeifer, die das Herz auf dem rechten Fleck haben und den Alltag zu nehmen wissen. Auszüge aus dieser Novelle unter den Titeln Der Organist von St. Marien 61 und Die letzte Perfektionierung 62 sind wiederholt erschienen und haben zur Verbreitung einer Dichtung bei getragen, die in fünfzig Jahren Wirksamkeit ihre Leuchtkraft kaum ein büßte. Obwohl in den letzten vier Jahrzehnten rund 75 Romane, Novellen und Er zählungen publiziert wurden, in deren Mittelpunkt Johann Sebastian steht, gibt es in der Dichtung nur zwei ausgesprochene Gesamtdarstellungen seines Lebens und Wirkens, von denen die eine sogar noch kurz vor der Jahrhundertwende erschien. Drei Veröffentlichungen beschäftigen sich vor wiegend mit Bachs Leipziger Tätigkeit als Thomaskantor etwa vom Jahre 1723 an bis zu seinem Tode, wobei gelegentlich Rückblendungen auf frü here Lebensereignisse gegeben sind. Im übrigen handelt es sich um einzelne, historisch mehr oder weniger überlieferte Begebenheiten, die sich - mit dichterischen Mitteln gestaltet - als Erzählungen oder Novellen anbieten. Über solche Proportionen könnte man zunächst überrascht sein, wenn man sich der vielen Mozart-, Beethoven- oder Wagner-Romane erinnert. Man muß sich jedoch vergegenwärtigen: Trotz umfangreicher Biographien ist die Kunde über Bachs äußeres und inwendiges Leben recht mager, an Brie fen und sonstigen schriftlichen Äußerungen - außer seiner Musik natürlich 59 Neue und erweiterte Ausgabe. Leipzig 1921. 60 Neue Ausgabe. (Vollständig neubearbeitet und um ein neues Kapitel — Den großen Praecedenzstreit — erweitert.) Leipzig 1922. — Vgl. auch: Aus Sebastian Bachs Lehr jahren. In: Almanach der deutschen Musikbücherei auf das Jahr 19 24)2/. Regensburg 1924, S. 79—104. 61 In: Um Bach und Beethoven, a. a. O., S. 1—34. 62 Leipzig 1924.